: Trittbrettfahrer der Reformbewegung
Offener Brief der Vertrauensleutevollversammlung des Deutschen Theaters Berlin an Bundeskanzler Kohl ■ D O K U M E N T A T I O N
Die Schauspielervertretung, künstlerische Leitung und Direktion der Schaubühne am Lehniner Platz legt seit Dienstag folgende Erklärung den Programmheften bei:
Sehr geehrtes Publikum,
mit dem nachstehend abgedruckten Offenen Brief hat sich die Vertrauensleutevollversammlung des Deutschen Theaters Berlin an Bundeskanzler Helmut Kohl gewandt.
Sein Inhalt unterscheidet sich sehr von den häufig eitlen Allerweltsposen und -solidarisierungen, die wir, die Ensembles des Westens, uns im Lauf der Zeit angewöhnt haben. Wir meinen, der Adressat des Briefes hat - wir alle haben diese klug berichtigende Gegenrede von Theaterleuten aus der DDR bitter nötig. Um ihr Gehör zu verschaffen, geben wir sie Ihnen auf diese Weise zur Kenntnis.
Offener Brief der Vertrauensleutevollversammlung des Deutschen Theaters Berlin an Bundeskanzler Kohl
„Mit zunehmender Verärgerung beobachten wir Ihren Einsatz für Demokratie in der DDR, hören Ihren Ruf nach freien Wahlen in unserem Land, von denen Sie die wirtschaftliche Zusammenarbeit abhängig machen wollen.
Das Volk der DDR hat seine Reformen selbst erkämpft und wird das auch künftig tun. In dem hart geführten Dialog mit unserer Regierung und der SED benötigen wir keine politische Schützenhilfe von Ihrer Regierung oder Ihrer Partei.
In seiner wenig glücklichen Geschichte hat das deutsche Volk politische Veränderungen hauptsächlich von oben oder von außen erfahren. Dazu gehörten nach 1945 in der DDR der Sozialismus Stalinscher Prägung, hinter dem die sowjetischen Panzer standen, ebenso wie in der Bundesrepublik die parlamentarische Demokratie, die ihr mit dem silbernen Löffel des Marshallplans eingeholfen wurde. Über die wirtschaftliche Überlegenheit der Bundesrepublik heute besteht kein Zweifel, aber wir lehnen es ab, wenn sich der Bundesknazler an die Spitze einer Bewegung stellt, die aus dem Mut und der politischen Reife des Volkes in unserem Land entstanden ist.
Wir haben nichts dagegen, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, für freie Wahlen auf die Straße gehen, aber wir wollen Sie nicht unter den Trittbrettfahrern unserer Reformbewegung sehen. Davon haben wir im eigenen Land genug. Was sollen das außerdem für freie Wahlen sein, die mit dem Geld der Bundesrepublik erkauft werden? Die Menschen hier sind durchaus in der Lage, freie Wahlen ohne Druck aus dem Westen einzufordern.
Mit besten Wünschen für die schwierige Arbeit in Ihrem Land.“
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