: Sozialismus-betr.: Ost-West-Verständigungsprobleme
betr.: Ost-West-Verständigungsprobleme
Kaum hat die neue Ost-West-Verständigung begonnen, da drohen sich die Fronten schon wieder zu verhärten. Grund ist eine historisch gewachsene Verengung des Begriffes Sozialismus. Die einen behaupten, der Sozialismus habe versagt und müsse endgültig aufgegeben werden, die anderen möchten am Ideal des Sozialismus festhalten und mehr oder weniger „sozialistische Prinzipien“ beibehalten: Vergesellschaftung der Produktionsmittel und staatliche Zwangswirtschaft. Beide Seiten sehen anscheinend nicht, daß soziale Gerechtigkeit und Freiheit die Grundanliegen aller SozialistInnen waren, auch von Marx und Engels.
Einerseits waren für Karl Marx das Tauschwertsystem im allgemeinen (letztlich der freie Markt) und das Geldsystem im besonderen das elementare „System der Gleichheit und Freiheit“, wie man in Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie nachlesen kann. Dort spricht er bejahend auch von der „Dreieinigkeit von Eigentum, Freiheit und Gleichheit“.
Andererseits hat sich Marx mit einer falschen Kapitalanalyse den Weg zu freiheitlichen Wirtschaftsformen und damit zum Sozialismus verbaut. Nicht das Privateigentum an den Produktionsmitteln (abgesehen vom Boden) ist Grund und Ursache des Kapitalismus; dieser ist vielmehr eine Folge des traditionellen Geldsystems wie J.P.Proudhon, Gesell und Keynes erkannt und moderne GeldtheoretikerInnen bestätigt haben.
Der fundamentale Irrtum der Marxschen Kapitalanalyse muß von beiden Seiten begriffen und aufgearbeitet werden, wenn eine bessere Verständigung nicht an verhärteten Sozialismusvorstellungen scheitern soll. Die einen müssen verstehen, daß nicht der Sozialismus schlechthin versagt hat, sondern der bisher praktizierte ökonomische Weg zu diesem Ziel. Die anderen müssen erkennen, daß Vergesellschaftung der Produktionsmittel (ausgenommen der Boden) und Kommandowirtschaft letztlich gar nicht den Sozialismus ausmachen.
Schon der Sozialist Karl Kautzky hatte seine grundsätzliche Bereitschaft zum Umdenken angezeigt: „Würde uns nachgewiesen, daß etwa die Befreiung des Proletariats und der Menschheit überhaupt auf der Grundlage des Privateigentums an Produktionsmitteln allein oder am zweckmäßigsten zu erreichen sei..., dann müßten wir den Kollektivismus über Bord werfen, ohne unser Endziel im geringsten aufzugeben. Ja, wir müßten es tun, gerade im Interesse dieses Endziels.“ (Diktatur des Proletariats, 2. Aufl., S.4)
Interessanterweise hat die Liberalsozialistische Partei (LSP) in der Schweiz ein Konzept für eine Marktwirtschaft ohne jegliche Ausbeutung und mit größtmöglicher Freiheit für den/die einzelne erarbeitet.
Josef Hüwe, Berlin 37
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen