: Ave Cäsar Gorbatschow
„Gorbi il magnifico“ in allen Schaufenstern Roms - die Italienreise des Kremlchefs gerät zum Volksfest Hauptziele des Staatsbesuchs: Aufträge zu beschaffen und die deutsche Wiedervereinigung zu bremsen ■ Aus Rom Werner Raith
„Zwei Tage mehr Zeit“, brummt der Kollege von NBC Network, „und die hätten ihm einen Triumphzug wie im alten Rom ausgerichtet.“ Das trifft beinahe die Wahrheit: So wie Kremlchef Michail Gorbatschow und Frau Raissa wurde zumindest seit der Zeit der Renaissancepäpste nie wieder ein ausländischer Staatschef empfangen.
Gorbi allerorten - in Schaufenstern und am Straßenrand, schulfrei für die Kleinen und großer Bahnhof gleich sechsmal hintereinander: am Flughafen, im Quirinalpalast beim Staatspräsidenten, im Palazzo Chigi beim Ministerpräsidenten, im Senat, im Kapitol (wo einst die Römischen EG-Verträge unterschrieben wurden), am Freitag dann in Mailand vor der Creme der Industriellen des Landes dazwischen, besonders historienträchtig, Begegnung mit dem Papst. Und glücklich allesamt - die naserümpfenden Neofaschisten einmal ausgenommen, für die Gorbatschow noch immer eine Art Kommunist darstellt. Ausgestochen freilich alle von den Grünen der Lombardei, die den GIM, Gorbi il magnifico, gar schon für den Nobelpreis vorgeschlagen haben.
Kein noch so geringer Dissens trübt die Visite. Die erste Frage, die man erörtern werde, so Ministerpräsident Andreotti, sei „die deutsche“ - der DC-Mann hatte bereits vor drei Jahren vor einem „Pangermanismus“ gewarnt. Und Gorbatschow setzt viel auf die Bremswirkung der Italiener in Sachen deutsche Wiedervereinigung: „Die Phase der bloßen Konsultationen ist vorbei“, ließ er schon vorab mitteilen, „nun beginnt die Phase des einigen Europa.“ Und zwar, wie Andreotti das Pingpong fortsetzt, „ohne auch nur irgendeine Staatsgrenze anzurühren“. Ansonsten bringt Gorbatschow den Italienern viel Gutes: Verträge für mehr als umgerechnet acht Milliarden Mark werden unterzeichnet. Manche in solcher Eile, daß man nicht einmal das Eintreffen des Kremlherrn abwartete: Fiat-Generalmanager Cesare Romiti bat den sowjetischen Industrieminister schon zwei Tage zuvor zur Unterschrift für ein Abkommen zum Bau von knapp einer Million Autos in der UdSSR. Frohlockend ließ Romiti sich die Bemerkung des Sowjetministers gefallen, man liebe in Rußland „einen alten Freund mehr als zwei neue“. Auf die Anfrage der taz, wo die „neuen“ möglicherweise sitzen würden, gab Fiat folgende Antwort: „Man kann ja nicht wissen, was die... Entschuldigen Sie, woher sind Sie - aus West- oder aus Ostdeutschland? Aus Westdeutschland? Ach, könnten Sie bitte Ihre Fragen nicht schriftlich hierherschicken?“
Gorbatschow jedenfalls genießt wieder einmal das Bad in der Menge: Keiner der „Gorbi-komm'-zu-uns„-Rufe , die trotz des imposanten Schutzaufgebotes zu ihm durchdringen, bleibt ohne Winkewinke und Fernumarmung. Unsterblich scheint er den meisten Italienern bereits: der Held der Welt, „der größte Mensch aller Zeiten“, wie ihn die auf der Straße vom Fernsehen RAI interviewten Normalbürger ein übers andere Mal titulieren. Ave Cäsar. Bei den antiken Triumphzügen stand hinter dem Gefeierten immer ein Sklave, der ihm unentwegt zuraunte: „Memento hominem te esse - denk daran, daß du nur ein Mensch bist.“ Eine Übung, die vielleicht gar nicht so unberechtigt war.
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