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Flexibler Traditionalist des Wischiwaschi

IG-Bergbau-Vorsitzender Heinz-Werner Meyer löst im Mai '90 den Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes Breit ab  ■ P O R T R A I T

Wenn Heinz-Werner Meyer eine Rede hält, dann kann jeder Journalist darauf vertrauen, daß er mit keinem Wort von dem schriftlichen Manuskript abweicht. Auf Meyer ist Verlaß. Überraschungen, spontane Wendungen sind seine Sache nicht. Was er sagt, ist lange durchdacht; Meyer formuliert mit Bedacht und meidet jede Art von Polarisierung. Je heikler das Thema, um so diplomatischer, auch nebulöser, seine Wortwahl. Gefragt, ob er Gegner der Kernenergie sei, antwortete er vor wenigen Wochen so: „Ich bin kein Kernenergiegegner, aber ich bin auch kein Kernenergiebefürworter. Wie auch sonst im Leben lasse ich meine Ansichten nicht gern in eine bestimmte Schublade legen“ - ein klassischer Meyer-Satz.

Dabei muß man wissen, daß Meyer als Vorsitzender der „Industriegewerkschaft Bergbau und Energie“ (IGBE) in jener SPD-Kommission mitgearbeitet hat, die den Ausstiegsbeschluß des Nürnberger SPD-Parteitages formuliert hat. Bekanntlich bekundete die SPD damals, in zehn Jahren aus der Kernenergie aussteigen zu wollen. Meyer trug diesen Kompromiß mit, obwohl er die Fristsetzung, die allerdings auch an einem Machtwechsel in Bonn geknüpft war, immer für falsch gehalten hat. Gerade die Kernenergiedebatte zeigt etwas von der Flexibilität, zu welcher der gewerkschaftliche Traditionalist Meyer fähig ist. Immerhin steht er seit dem 24.September 1985 einer Gewerkschaft vor, die bis zur Katastrophe in Tschernobyl wie keine andere unter dem Motto „Kohle und Kernkraft“ auf Seiten der Atomlobby stritt. Seit Nürnberg ist damit Schluß, auch wenn die IGBE noch längst nicht zur Antiatombewegung zählt. Das Credo der IGBE-Politik hat Meyers Vorgänger Adolf Schmidt einmal so beschrieben: „Wenn wir auf die Straße gehen, haben wir schon verloren.“

Von dieser Leitlinie ist Meyer keinen Millimeter abgewichen. Verhandeln statt demonstrieren, Verträge anstelle von Arbeitskämpfen, so wünscht sich Meyer die praktische Gewerkschaftspolitik. Wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe setzt die IGBE auf den vertraglichen Kompromiß. Immer stand Meyer für eine Politik, die den Strukturwandel einschließlich der zahlreichen Zechenstillegungen mittrug - bei gleichzeitiger materieller Absicherung der Bergleute. Zum kompromißlosen Kampf der britischen Bergarbeiter hielt die IGBE immer Abstand, was dazu führte, daß die Unterstützung für den letzten großen britischen Bergabrbeiterstreik kläglich ausfiel.

Innerhalb des DGB-Konzertes intonierte die IGBE eher die rechten Töne. Daß die eher linke IG-Metall jetzt Meyers Kandidatur zum Nachfolger von Ernst Breit unterstützt, ist zu einem großen Teil dem Mangel an Alternativen zuzuschreiben. Die von vielen in der IG-Metall gern als Breits Nachfolgerin gesehene Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit, Ursula Engelen-Kefer, wäre von Einzelgewerkschaften wie der IG-Chemie nicht akzeptiert worden. Die in der Frankfurter IG-Metall-Zentrale zu hörende Parole, Meyer sei ja nur ein „Übergangskandidat“, beruht auf Selbsttäuschung.

Der am 24.August 1932 geborene Meyer kann - ebenso wie Breit - dem DGB noch gut und gerne zwei Legislaturperioden vorstehen. Heinz- Werner Meyer lebt in Dortmund, ist verheiratet und hat 5 Kinder. Lange Jahre arbeitete er als Hauer unter Tage. Seit 1987 gehört er als SPD-Abgeordneter dem Bundestag an.

Walter Jakobs

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