CSSR-Verfassung wird geändert, KP tut Buße

■ Hoher KP-Funktionär fordert Neuwahlen binnen 12 Monaten / Rücktritt von Staatspräsident Husak verlangt / Alois Indra bereits abgetreten / Parlament beriet über Streichung der „führenden Rolle“ der KP aus der Verfassung / Ultimatum an die künftige Regierung

Prag/Berlin (taz/dpa/ap) - Das tschechoslowakische Parlament hat am gesterneinstimmig die Führungsrolle der Kommunistischen Partei aus der Verfassung gestrichen. Mit wenigen Gegenstimmen oder Enthaltungen wurden zwei andere Verfassungsartikel gestrichen, die die Führungsrolle der KP in der Nationalen Front, der Dachorganisation der Parteien und Massenorganisationen, sowie die Erziehung der Jugend im marxiostisch-leninistischen Geist betrafen. In der Sondersitzung wurde namentlich und offen durch Handaufheben abgestimmt.

An der Sitzung, die direkt im Fernsehen übertragen wurde, nahm Staatspräsident Gustav Husak nicht teil, wie er es normalerweise tut. Husak war im Zusammenhang mit der Ausschaltung von Reformgegnern aus den Führungsgremien der Partei ins Schußfeld geraten. Einen Rücktritt, wie ihn das oppositionelle Bürgerforum in einem bis 10. Dezember befristeten Ultimatum gefordert hatte, lehnte Husak jedoch ab. Die amtliche Nachrichtenagentur CTK am Mittwoch berichete, zehn Parlamentsabgeordnete der kommunistischen Partei hätten ihn aufgefordert, „nicht dem Druck zu weichen“ und bis Ende der Amtsperiode zu verbleiben. Husak selbst erklärte dem Bericht zufolge, er sei für eine bis Mai 1990 dauernde, fünfjährige Amtsperiode vom Parlament gewählt und wolle diese auch zu Ende ableisten.

Wider Erwarten wurde zu Beginn der Parlamentsitzung kein neuer Parlamentspäsident gewählt. Der bisherige Parlamentsvorsitzende Alois Indra, der als entschiedener Reformgegner galt, hatte sein Amt am Wochenende niedergelegt, nachdem er das Politbüro verlassen mußte. Die Neuwahl wurde auf den 12. Dezember verschoben.

Bevor gestern abend das Parlament der CSSR zusammentrat, um über die Streichung der führenden Rolle der KP in der Verfassung und weitere weitreichenden Veränderungen zu beraten, übte sich die KP, von den Ereignissen der letzten Tage mitgerissen, in Selbstkritik. Präsidiumsmitglied Vasil Mohorita erklärte auf einer Pressekonferenz, nur wenn die KPTsch einsehe, daß sie selbst Schuld am Verlust ihres Machtmonopols sei, habe sie eine Chance, in demokratischen „Wahlen zu bestehen, auch wenn nicht als absoluter Sieger“. Mohorita schlug Neuwahlen innerhalb von zwölf Monaten nach einem neuen Wahlgesetz vor.

Ministerpräsident Adamec will bis Sonntag eine Koalitionsregierung vorschlagen, die die Zustimmung der in der Nationalen Front vertretenen Blockparteien und des oppositionellen Bürgerforums hat. Dem neuen Kabinett sollten überwiegend Fachleute angehören. Der Sprecher des Bürgerforums, Pater Vaclav Maly, stellte nach einer Unterredung mit Adamec am Dienstag abend der neuen Regierung ein Ultimatum bis Jah Weiter auf S.2

resende. Bis dahin müsse sie ihren Reformwillen überzeugend unter Beweis gestellt haben, sonst würde das Bürgerforum ihren Rücktritt fordern. Zu den Forderungen des Forums gehören ein Wahlgesetz, Versammlungsfreiheit und Abschaffung der Kampfgruppen (siehe auch Seite 8).

Vertreter des Bürgerforums überreichten außerdem am Dienstag abend der sowjetischen Botschaft in Prag einen Brief an das Zentralkomitee der KPdSU und einen weiteren an den Obersten Sowjet der UdSSR. In beiden Briefen wird die Sowjetunion aufgefordert, den Ein

marsch der Truppen des Warschauer Paktes vom August 1968 als Verletzung internationalen Rechts zu verurteilen, „weil die Truppen von keinem Verfassungsorgan der CSSR gerufen wurden“.