„Es fehlt einfach an einer Initialzündung“

Sigrun Klüger, Bundesfrauenreferentin der Grünen, über den desolaten Zustand des Feminismus innerhalb ihrer Partei  ■ I N T E R V I E W

Am 25./26.November trafen sich in Bonn rund hundert grüne Frauen zu einem „Feministischen Ratschlag“. Auf der Tagesordnung stand eine Bilanz zu fünf Jahren Quotierung und die Frage, wie es mit dem Feminismus bei den Grünen weitergehen kann (die taz berichtete darüber am 28.11.).

taz: Neulich auf dem Strategienkongreß der Grünen, als Christina Thürmer-Rohr und Maria Mies kurzerhand als Referentinnen ausgeladen wurden, habt ihr Feministinnen einen harten Schlag einstecken müssen. Eine Woche später, beim Feministischen Ratschlag, hätte ich nun lebhafte Debatten darüber erwartet. Statt dessen war die Stimmung sehr gedämpft. Außerdem waren auch nur sehr wenige Frauen da. Bist du enttäuscht?

Sigrun Klüger: Nein, ich hatte wenig anderes erwartet. Die Auseinandersetzung auf dem Perspektivenkongreß in Saarbrücken war auch unter den Frauen sehr kontrovers. Die Begründung, mit der die beiden ausgeladen wurden, teilten auch einige Frauen. Insofern haben viele das auch nicht als harten Schlag angesehen, und es ging auch kein Aufschrei durch die feministischen Reihen der Grünen. Der Konflikt auf dem Kongreß war nur ein Punkt unter vielen. Es läßt sich eine kontinuierliche Entwicklung in dieser Partei feststellen, daß feministische Positionen Stück für Stück in den Hintergrund gedrängt werden.

Gibt es überhaupt noch Feministinnen bei den Grünen?

Ja (sie lacht), das ist eine schwierige Frage. In der Diskussion beim Ratschlag hat sich ja auch gezeigt, wie unterschiedlich Feministinnen bei den Grünen mit der schwierigen Situation umgehen. Regina Michalik zum Beispiel hat sehr deutlich erklärt, warum sie in diese Partei ihre Ideen und Kräfte nicht mehr investieren will. Andere haben sich aufs Überwintern in der Partei eingestellt und harren auf bessere Zeiten. Dritte meinen, daß sie in ihren bestimmten Bereichen feministische Positionen durchaus vertreten und über Inhalte deutlich machen können. Mich persönlich hat bei diesem Ratschlag enttäuscht, daß es nicht möglich ist, eine kollektive Strategie zu entwickeln unter den grünen Feministinnen, wie wir mit dieser desolaten Situation, was feministische Positionen angeht, umgehen können.

Du hast zusammen mit anderen vorgeschlagen, eine feministische Strömung innerhalb der Partei zu gründen.

Entweder wir bejahen die These, das im Parlamentarismus Feminismus unmöglich ist, oder wir versuchen, unsere Politik im kollektiven Rahmen zusammenzufassen. Dann ist meines Erachtens eine femininistische Strömung sehr sinnvoll, weil sich dadurch endlich kontinuierliche Diskussionszusammenhänge ergeben könnten - über die Bundesarbeitsgemeinschaft der grünen Frauen hinaus. Dort könnten wir uns vielleicht wieder ein Stück die Definitionsmacht von Feminismus zurückerobern, der inzwischen nicht nur bei den Grünen zu einem inflationären Begriff verkommen ist. Selbst CDU-Frauen können sich bereits ungehindert mit diesem Etikett schmücken. Wir müssen sowohl wieder eine grundsätzliche Feminismusdebatte führen als auch inhaltlich zu bestimmten aktuellen Themen arbeiten.

Birgit Arkenstette von der AL hat gesagt, die Grünen seien eine ganz normale chauvinistische Partei, in der feministische Politik nie möglich war und auch in Zukunft nicht möglich sein wird. Seid ihr vielleicht nur die letzten Mohikanerinnen, die das noch nicht kapiert haben? Wäre es für euch nicht sinnvoller, feministische Politik außerhalb der Grünen zu machen?

Das ist die grundsätzliche Frage. Ich habe darauf auch noch keine klare Antwort. Einiges, auch Unbequemes, haben die grünen Frauen natürlich in den vergangenen zehn Jahren in die Öffentlichkeit gebracht. Wie sich das aber weiterhin mit der Zielrichtung dieser Partei vereinbaren läßt, das ist die Frage. Wenn Regierungsbeteiligung über allem steht, sind provokative Wahrheiten grundsätzlich nicht mehr möglich. Dann sind feministische Positionen mit Parteiarbeit nicht mehr vereinbar.

Ich hatte den Eindruck, daß für viele Teilnehmerinnen der Feministische Ratschlag eine Art Pflichtübung war, daß vorwiegend Langeweile und Müdigkeit geherrscht hat bei den Diskussionen. Wie siehst du das?

Langeweile ist natürlich eine Interpretationssache. Aber das mit der Müdigkeit habe ich auch so empfunden. Das liegt sicher daran, daß die Frauen in ihren Kämpfen an ihren jeweiligen politischen Orten völlig aufgerieben werden. Das habe ich in den letzten Monaten ganz oft gehört. Frauen sind völlig überlastet, müssen sich immer wieder durchsetzen, auch hinsichtlich der Quotierung. Es fehlt einfach eine Initialzündung. Aber die scheint sich unter den Frauen in dieser Partei nicht ergeben zu können. Die Euphorie, die Aufbruchstimmung ist weg. Wir haben kaum noch ein Thema, das so neu und provokativ ist, so öffentlichkeitswirksam, daß alle aufwachen würden. Das gibt es nicht mehr.

Das Gespräch führte Ulrike Helwerth