In die vollen, weil der Bär los ist

■ Bei der größten Kegelparty Europas ist den 22.000 bierselige Stimmung wichtiger als bloßer Sport

Münster (taz) - Nichts geht mehr auf dem Albersloher Weg. Münsters Industriemeile ist hoffnungslos überbelegt. Die Menge Autoblech pro Kubikmeter Luft und Boden übersteigt alle Quantitäten hiesiger Schrottplätze draußen vor den Toren der Stadt.

Da wird gehupt und gewinkt und vorsichtshalber schon mal vorgesoffen: „Falls denen da drinne‘ der Stoff augegangen ist“, erklärt einer aus der Reihe derer, die auf den polizeilich geregelten Zugang zur diesjährigen Hauptattraktion warten.

Nein, diesmal ist es nicht die potentielle Besichtigung bröckelnder Mauern, welche die Massen bewegt, und auch der Heer der Nutznießer verkaufsoffener Feierabende ist nicht allein verantwortlich für den Blech-Cluster. Die hier stehen oder auf dem Hauptbahnhof soeben den „Sambasonderzug“ aus Richtung Koblenz verlassen, streben zu einem Ereignis von einiger, immerhin acht Jahre anhaltender Tradition: „Europas größte Kegelparty“ wird gefeiert, tagelang und mit wachsender Begeisterung der gemeldeten über 22.000 Anwesenden.

Schon Wochen vorher kündigt „Euer Kalle Kegel“ an, daß auch in diesem Jahr, an insgesamt fünf Tagen rund um die Buß- und Betfestivität, „Sport, Spiel und Spannung“ garantiert sein werden. „Die Leute wollen ihren Spaß haben“, sagen die Initiatoren, wenn man sie nach dem Konzept des kuriosen Spektakels fragt, und reichen eine Programmvorschau über den Tisch, die einen Eindruck vermitteln soll von der Reichhaltigkeit des „geschätzte vierzig Prozent“ großen Unterhaltungsangebots.

Die Frage nach dem Verhältnis von Sport und Rahmenprogramm beantworten jene wenigen, mit organisatorischen Aufgaben betrauten Sportkegler der lokalen Keglervereinigung ganz anders: „Sechzig zu vierzig“ halten sie, seit Jahren schon, für Makulatur. „Das ist hier so eine Art Oktoberfest, für viele Klubs nichts anderes als ein Jahresausflug mit festem Ablauf. Mit Sport hat das nicht soviel zu tun.“

Der Verdacht des Etikettenschwindels drängt sich auf. Wenn erst die mittelalterlichen Lokalheroen „The Moonbeats“, „bekannt als Vorgruppe der Bee Gees“, ihre Interpretation von Satisfaction geliefert haben, Gunter Seyd, „der bekannte Plattenplauderer von RTL“, für die Animation des Publikums gesorgt hat, wenn sein Namensvetter und Edeltrucker Gabriel zeigt, daß er immer noch als „ein bekannter Mann des Volkes“ gelten mag, und die „Fiesta Tropical“ ihre bekanntermaßen „kaffeebraunen Amazonen“ südamerikanisch tanzen läßt, dann reduziert sich der sportliche Anteil auf ein marktgerechtes Minimum.

Die Ausrichter begegnen solcher Kritik offensiv offenherzig mit einer Flut von Flucht-nach-vorne-Papieren. Keine „bierernste Kegelolympiade“ sei gewünscht, schreibt das Pressebüro der Halle Münsterland immer wieder und weiß sich dabei einig mit den meisten der meist bierseligen Hobbykegler: „Wir sind hier, weil hier der Bär los ist. Das Kegeln ist gar nicht so wichtig.“

Vergessen wird bei solcher Transparenz freilich, daß alles angefangen hat, weil einer „die Marktlücke Kegeln“ (Pressesprecherin) entdeckte. In den fünfziger, sechziger und auch noch während der siebziger Jahre galt das münstersche Sechstagerennen als Publikumsmagnet. Als dann die Besucherzahlen im Jahrestakt merklich schwanden, erinnerten sich die Programmacher der Halle Münsterland einer „im Münsterland traditionsreichen“ Aktivität. Daß sich heute die Mehrheit der Klubs und EinzelkeglerInnen mit je „fünf Wurf in die vollen“ zufriedengibt, um dann die Bars, Tresen und die Werbestände der Sponsoren zu frequentieren, ist, so klingt's ein wenig resigniert vom Geschäftsführer der Keglervereinigung Münsterland Fritz Teermann, „ein Problem von Angebot und Nachfrage“.

Kein Zweifel: „Europas größte Kegelparty“ trifft den Geschmack von vielen. Von Besucher- und Teilnehmerzahlen, wie sie bei der fünftägigen Veranstaltung erreicht werden, können Sportkeglervereine nur träumen. Die Puristen haben's schwer. Sport allein, „Kegeln ohne alles“, resümiert Teermann, „ist den meisten zu wenig“. Und er weiß: „Unser Angebot ist nicht attraktiv genug.“ Offeriert wird in der Tat wenig in diesem, seit 1979 vom Olympischen Komitee anerkannten Sport. Dafür wird um so mehr verlangt. Wer als Sportkegler oder -keglerin in einer der acht Spielklassen, von der Kreisklasse bis zur Bundesliga, rangieren will, muß feste Trainingszeiten und Mindestwurfzahlen einhalten. Dreihundert bis vierhundert Wurf pro Woche sind keine Seltenheit - und die müssen dann zumeist auch noch aus eigener Tasche, als „Kugelgeld“, bezahlt werden.

Gerade 230.000 Frauen und Männer, organisiert im Deutschen Keglerbund (DKB), kegeln zu diesen Bedingungen. Der große Rest, über 14 Millionen bundesdeutsche Menschen, tut es sporadisch und „zu seinem Vergnügen“ (DKB). Fritz Teermann, der mit über sechzig Kollegen zum errechneten Billigtarif von 1,89 DM pro Stunde und für die Gegenleistung, in den Zwischenzeiten die Bahnen bespielen zu dürfen, bei „Europas größter Kegelparty“ Wartungs- und Kontrolldienste leistet er hofft „ein wenig Werbung für uns machen zu können“.

Läßt sich hier denn der ersehnte Nachwuchs finden? „Das wäre schön. Aber das Gegenteil ist häufiger der Fall. Uns laufen die Leute weg, damit sie hier starten können.“ Und gewinnen. Eine Reise nach Brasilien zum Beispiel, für zwei Personen und zwei Wochen. Das können laut Reglement nur diejenigen, die nachweisbar keine Sportkegler mehr sind. „Wenn ich mir anschau‘, wer hier die Einzelwettbewerbe gewinnt, dann sehe ich viele bekannte Gesichter“, meint Teermann und daß es jetzt vielleicht doch Zeit wird, „in die Offensive zu gehen“.

-bibi