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Jugoslawien steht am Rande der Spaltung

Slowenien ruft Ausnahmezustand aus und sperrt die Grenzen / Serbien ruft zur Wirtschaftsblockade und zum Boykott Sloweniens auf / „Aufklärungsmarsch“ der Serben nach Slowenien vorläufig abgesagt / Neid der südlichen Provinzen auf das wohlhabende Slowenien  ■  Von Roland Hofwiler

Erstmals seit Kriegsende herrscht seit Donnerstag früh in der nordjugoslawischen Provinz Slowenien der Ausnahmezustand. Der Innenminister Sloweniens, Tomaz Ertl, begründete diese Maßnahme mit einer „Bürgerkriegsgefahr„für seine Republik. Bis auf weiteres sind Versammlungen auf öffentlichen Plätzen verboten, können Hausdurchsuchungen ohne gesetzliche Genehmigung von der Polizei jederzeit durchgeführt werden, wurde das Telefon- und Briefgeheimnis außer Kraft gesetzt, gilt eine begrenzte Reisefreizügigkeit und dürfen Zusammenkünfte in Privatwohnungen, an denen mehr als 30 Personen teilnehmen ohne Vorwarnung von paramilitärischen Polizeieinheiten aufgelöst werden. Hintergrund der drastischen Maßnahmen: Heute wollten Zehntausende Serben nach Slowenien pilgern, um bei einem „Meeting der Wahrheit“ die slowenische Bevölkerung über das „konterrevolutionäre Treiben der slowenischen Führung“ aufzuklären und ihre repressive Politik in der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz Kosovo „erklären“.

In Ljubljana dagegen sehen die slowenischen KP-Führer ihre serbischen Genossen um Slobodan Milosevic als „Anstifter eines innerjugoslawischen Bürgerkrieges“. Der Massenansturm auf die kleine Republik sei nicht zur „Aufklärung“ gedacht gewesen, sondern „zur Zerschlagung der Brüderlichkeit und Einheit der Völker Jugoslawiens mit einer serbischen Vormundschaft über das ganze Land“, so das Ljubljaner Parteiblatt 'delo‘.

Angeblich zur „Bloßstellung“ der slowenischen Politiker ließ darauf Slobodan Milosevic „den Marsch zur Wahrheit“ abblasen. Mit den „Ausnahmemaßnahmen“ habe sich Slowenien selbst entlarvt und bewiesen, daß das „Gerede um Demokratie und mehr Pluralismus“ nichts anderes als eine Farce sei, kommentierte gestern „Radio Beograd“. Heute soll in Belgrad gegen die Slowenen demonstriert werden.

Die Sozialistische Allianz Serbiens, in der alle Massenorganisationen zusammengeschlossen sind, rief als Reaktion auf die slowenischen Maßnahmen alle serbischen Institutionen zum Bruch ihrer Beziehungen mit dem nördlichen Landesteil auf. Prompt appellierte die serbische Handelskammer an alle Unternehmen, jede Form der Kooperation mit slowenischen Firmen einzustellen, „bis normale Formen des Gemeinschaftslebens wieder hergestellt sind“. Westliche Wirtschaftsvertreter meinten gestern, eine Blockade zwischen beiden Republiken würde die Föderation in den Ruin treiben.

Die Republik Slowenien, mit 1,3 Millionen Einwohnern die kleinste, aber wohlhabendste und liberalste in der Vielvölkerföderation Jugoslawiens, gilt als das „Lettland des Balkans“. Wie in den baltischen Republiken der UdSSR fordert die Bevölkerung ein Ende der Alleinherrschaft der Kommunisten, freie Wahlen, eine freie Presse, Abkehr von der Planwirtschaft und mehr nationale Autonomierechte bis hin zum Austritt aus der Föderation.

In Serbien, mit über acht Millionen Einwohnern die größte Republik, herrscht - milde ausgedrückt - ein neuer „Breschnew“: Slobodan Milosevic hält nichts vom „bürgerlichen Experiment“, das in Osteuropa die alte Ordnung aus den Angeln hebt. Er suche die Nähe zu Ceausescu und China, mutmaßt die slowenische Presse und fragt: „Wann verwandelt sich auch bei uns der 'Platz der Republik‘ in den des 'Himmlischen Friedens‘?“

Anzeichen sieht man dafür in der experimentierfreudigen Nordwestecke mehr als genug: Im März ließen Milosevic -Truppen in der „Region“ Kosovo Demonstrationen der albanischen Bevölkerungsgruppe für mehr Autonomie gewaltsam niederknüppeln. 23 Tote wurden offiziell beklagt, 'delo‘ enthüllte jedoch, daß mindestens 180 Albaner ihr Leben gelassen hätten. Spätestens hier geriet das Faß zum überlaufen. Das Mehrheitsvolk in Jugoslawien, die Serben, fanden sich als ganzes verunglimpft, und Milosevic wußte diese Emotionen für sich zu nutzen.

Armee zurückhaltend

Noch ist das Verhalten der Armeeführung ungewiß. Ob in Ljubljana oder Belgrad: man weiß, daß in der augenblicklich politischen Situation die Streitkräfte der alleinige Integrationsfaktor des Landes sind. Denn außer dem slowenisch-serbischen Nationalkonflikt brodelt es auch in anderen Landesteilen. Im äußersten Süden, in Mazedonien, wird der militante Ruf nach Gebietsanspruch gegenüber Bulgarien und Griechenland immer lauter. Allwöchentlich versammeln sich in Skopje, unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, Tausende von Mazedoniern, die ihre ausweglose Lage in chauvinistischen Parolen entladen. In Skopje liegt der Durchschnittslohn eines Fabrikarbeiters zur Zeit bei 80DM monatlich. Dafür kann man gerade drei Kilogramm Fleisch oder täglich einen Liter Milch und einen Laib Brot erstehen. Das mazedonische Parteiblatt 'Nova Makedonia‘ ganz offen: „Bei uns leiden die Menschen Hunger, während die Slowenen in Saus und Braus leben.“

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