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Die Völkerschlacht von Leipzigs Linken

■ Auf dem Leipziger Dimitroff-Platz kam es am Mittwoch abend zu einer (Wieder-)Vereinigung der besonderen Art: 10.000 SED-Genossen stießen auf 300 Oppositionelle

Leipzig (taz) - Leipzig am Mittwoch abend. Smog-Alarmstufe 1. Die Luft ist aus Blei, die Haut brennt, die Trabis knattern über den Ring: Erst bei Stufe 2 dürfen sie nicht mehr fahren. Eigentlich sollte die SED-Kundgebung vor dem Dimitroff-Museum wegen Smog ausfallen. Aber in letzter Minute kam Wind auf und damit Entwarnung.

„Von wegen Wind, das war ein Dekret“, korrigiert ein Genosse. So oder so, auf der Kundgebung der etwa 10.000 Parteimitglieder kommt es zu einer (Wieder-)Vereinigung der dritten Art. Studenten der Hochschule für Film und Fernsehen hatten vom Filmfestival aus kurzfristig zu einer Demonstration gegen Rechts aufgerufen. Circa 300 Festivalteilnehmer, unter ihnen viele DDR-Journalisten zogen mit Sprüchen wie „Wir lassen uns nicht BeeRDdigen“, und „Einig Vaterland ist abgebrannt, wir wollen unser eigenes Land“ durch die Innenstadt zur Kundgebung. „Volksverräter“ ruft ein Passant. Antwort aus dem Zug: „Wer verrät wen?“.

Auch die Genossen auf der Kundgebung sind irritiert. Als sie das waschechte Winkelement sehen, das einer der Studenten an einen Krückstock angebunden hat, applaudieren die einen und die anderen schimpfen: „Ihr seid ja gekauft, aus dem Westen.“ Die Demonstranten mischen sich dennoch zwischen die Genossen. Unter ihnen viele Uniformträger eine befremdliche Koalition. Als aber der junge Filmemacher Michael Maede ans Mikrophon tritt, gelingt es ihm nicht, die friedliche Eintracht wieder zu entwirren. Seiner Forderung nach Eigenstaatlichkeit der DDR wird heftig applaudiert, von allen Seiten. Kein Wort von ihm zur Angst vor den Wendehälsen.

Nur einer der Redner macht der Begriffsverwirrung ein Ende. Es ist Julius Fleischauer, ehemals Mitarbeiter des städtischen Tiefbauamts. 1973 sei er „wegen mangelnder Anpassungsfähigkeit“ aus der Partei ausgeschlossen worden, er stehe jetzt hier mit sehr gemischten Gefühlen. Er sympathisiere mit der Partei Jankas und Markus Wolfs, aber die von Krenz und die des ersten Bezirkssekretärs von Leipzig, Roland Wötzel, sei ihm suspekt. Dem demokratischen Mäntelchen, das Wötzel, u.a. verantwortlich für den Verfall der Stadt, sich jetzt umhänge, mißtraue er zutiefst. Erst jetzt scheiden sich die Geister: Die Genossen buhen und die Demonstranten sind begeistert.

Grotesker Zufall: Die Ausstellung im Dimitroff-Museum kommt aus dem Westen. „Zeitzeichen - aus Nordrhein-Westfalen“ steht in großen Lettern hinter den Rednern geschrieben. Kommentar eines Demonstranten: „Diesmal ist es Kunst, aber das nächstemals kommen sie mit Kapital“. Am Donnerstag steht in der „Leipziger Volkszeitung“, daß Rau der DDR zwölf Millionen DM Subventionen spendiert.

Während der Kundgebung werden für die nächste Montags-Demo Treffpunkte für die Demonstranten gegen Rechts bekanntgegeben. Es kriselt in Leipzig: Am nächsten Montag wird erstmals das Volk gegen das Volk antreten. Und das Leipziger Neue Forum hat mittlerweile eine Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei abgeschlossen.

Christiane Peitz

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