Der Bundestag unter dem Eindruck des Anschlags

9 Uhr 45, der Abgeordnete Hans-Peter Schmitz (CDU) spricht gerade zum Haushalt des Umweltministers, wird es unruhig im mäßig besetzten Plenarsaal. Während sich der schnauzbärtige Schmitz noch irritiert fragt, was er wohl falsch mache, wird im Saal schon zwischen den Fraktionsgeschäftsführern von Union, FDP und SPD die Tagesordnung umgeworfen, die abwesenden Abgeordneten werden eilig herbeigeordert. Schlagartig füllt sich der Saal; nur bei den Grünen, die nichts mitbekommen haben, bleibt es bei fünf Abgeordneten.

Unterbrochen wird die Sitzung wenige Minuten später, als Innenminister Schäuble (CDU) eintrifft. Seine Mitteilung ist knapp: „einig sein im Kampf um die Bewahrung unser freiheitlichen Ordnung“, fordert er, bevor sich alle Abgeordneten zu einer Schweigeminute erheben. Anschließend wird die Sitzung für fünf Minuten unterbrochen. Auf den Umwelthaushalt vermag sich anschließend jedoch kaum einer zu konzentrieren. In der Lobby des Wasserwerks geht es dafür umso lebhafter zu. Nicht so sehr die Manifestation der wehrhaften Demokratie beherrscht die Gespräche. Dafür gibt es den Hauch einer Stimmung, auch sie als Repräsentanten der Bundesrepublik seien symbolisch angegriffen. Daß die Urheber des Attentats bei der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) zu suchen seien, bezweifelt trotz fehlendem Bekennerschreiben in diesem Hause niemand. Wie sehr müsse sich die RAF im Abseits gefühlt haben, daß sie mit dieser Tat die Aufmerksamkeit auf sich habe lenken wollen, fragt sich der FDP -Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick. Was sei das für eine Welt, in der im Osten Freiheit gewaltfrei erkämpft werde und im Westen die Freiheit mit Gewalt beseitigt werden soll, sinniert Horst Ehmke (SPD). Und auch die Grünen verständigen sich darauf, zunächst den Terror zu verurteilen und die kritische Würdigung der Rolle Herrhausens zurückzustellen.

Wer klammheimliche Freude hat, äußert sie nicht. Der Grüne Tay Eich merkt an, wenn das Attentat mit Herrhausens Engagement für die marktwirtschaftliche Erschließung der DDR in Zusammenhang stehe, sei es „politisch kontraproduktiv“, weil es die Position derjenigen erschwere, die sich gegen den Ausverkauf der DDR wehrten. Hermann Fellner (CSU) macht sogleich ideologische Mittäter aus: Stefan Heym, der Herrhausen kürzlich als Repräsentanten des gierigen Kapitals kritisierte und die taz, die den Bankier „verteufelt“ habe.

Weitgehende Einigkeit herrscht aber bei allen Parteien darüber, daß dies nicht die Stunde neuer Sicherheitsgesetze sei. Es habe seit Wochen ernsthafte Hinweise auf kommende Anschläge gegeben, gibt der innenpolitische Sprecher der CDU, Johannes Gerster, bekannt. Die Frage hängt im Raum, ob dieses Attentat mehr nach innen, auf den Zusammenhalt der nach dem Hungerstreik zerbröckelnden Gemeinsamkeit der Gefangenen und Sympatisanten gerichtet sei, oder mehr nach außen, zur Dokumentation der Existenz. Interessant ist, daß Hans-Jochen Vogel keinerlei Informationen auf eventuelle Anschläge vorgelegen haben, wie er auf Nachfrage bestätigt. Vogel gibt sich überzeugt, daß die Bundesregierung ihn davon informiert hätte. Er weist in diesem Zusammnhang auf die „überzeugenden Antworten der 70er Jahre“ hin, wo man mit rechtsstaatlichen Mitteln die Situation bewältigt habe. Diese Gemeinsamkeit habe sich bewährt, sagt Vogel, und verweist auf den Schleyer-Krisenstab, in dem auch die damalige CDU-Opposition vertreten war. Weil Innenminister Schäuble inzwischen zum Tatort nach Frankfurt geflogen ist, wird die Debatte über seinen Etat auf den späten nachmittag verschoben. Bereits am vormittag jedoch deutet sich an, daß an diesem Tag nicht der harte Streit mit der Opposition, sondern die „Gemeinsamkeit der Demokraten“, im Vordergrund steht.

Gerd Nowakowski