Ausverkauf der DDR - Mehr Fragen als Antworten

■ Experten aus Ost- und West-Berlin diskutierten an der FU über die ökonomische Lage der DDR / Sofortmaßnahmen gefordert: Reformierung des Preissystems

Deutsch-deutsche Diskussionen haben Konjunktur. Auch das Audi-Max der FU läßt sich mühelos mit StudentInnen füllen, selbst wenn linientreue SED-Wissenschaftler eingeladen sind. Vor proppevollen Reihen diskutierten am Donnerstag, auf Einladung des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften der FU, Experten aus Ost und West über die ökonomische Lage in der DDR. Aus Ost-Berlin waren drei WissenschaftlerInnen vom Institut für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR (IPW) gekommen, aus West-Berlin neben Angehörigen des Fachbereichs die DDR-Expertin Cornelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaft. Zur Debatte stand der drohende Ausverkauf der DDR kurz nach Öffnung der Mauer.

Was war von einer solchen Diskussion zu erwarten? Denn das IPW gehört nicht, wie einige im Saal vermuteten, zur Humboldt-Universität, sondern macht traditionell Auftragsarbeit für die DDR-Regierung. „Wir arbeiten für alle interessierten Kräfte des Landes“, umschrieb Professor Jürgen Nitz, Fachmann für Handelsbeziehungen mit dem Westen, die Zielsetzung des Instituts. Der Saal nickte beifällig. Es gelte, den drohenden Ausverkauf der DDR innerhalb eines wie auch immer gearteten reformierten Sozialismus zu verhindern und schnell Lösungen aus der wirtschaftlichen Misere zu finden - soweit waren sich alle Beteiligten einig. „Es gibt mehr Fragen als Antworten“, eröffnete Nitz die Debatte, auch darüber war leicht Einigkeit zu erzielen.

Konkrete Vorschläge kamen von seinen Mitarbeitern Eberhard Lang und Professor Christine Kulke-Fiedler. Lang sprach sich dafür aus, die Rechte der Betriebe zu stärken und den zentralen Planungsapparat radikal abzubauen. Ehe die gesamte Volkswirtschaft in Ordnung gebracht werden könne, müßten „die Grundfragen der Ökonomie“ gelöst werden. „Das bedeutet, ein System von langfristig disponierbaren Preisen zu entwickeln.“ Keine großen Hoffnungen setzte Lang in Joint ventures, er plädierte dafür, die Kooperationsfähigkeit in Richtung Ost und West auszubauen.

Format bewies die weibliche Vertreterin des Instituts, Kulke-Fiedler. Sie sparte nicht mit Kritik am Verhalten der SED und auch an ihren anwesenden Kollegen (alle drei sind SED-Mitglieder) und erweckte damit noch am ehesten den Eindruck, nicht zu den verschrienen Wendehälsen zu zählen: „Die Wege der Wirtschaftsreform sind völlig offen, und Sie tun so, als ob wir schon fertige Rezepte hätten.“ Als einzige berücksichtigte sie den bedrohlichen Faktor Zeit: „Es besteht ein Zwang, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, damit kein Ausverkauf des Landes erfolgt.“ Eine erste, notwendig dirigistische Maßnahme sei es gewesen, Ausfuhrverbote zu erteilen. Sie forderte, die tatsächliche wirtschaftliche Lage der DDR der Öffentlichkeit schonungslos aufzudecken und endlich eine öffentliche Diskussion über die dringend notwendige Modernisierung der DDR-Wirtschaft in Gang zu setzen.

Im Vergleich zu ähnlichen deutsch-deutschen Diskussionen, die derzeit an den Universitäten veranstaltet werden, wurde hier weniger um des Kaisers Bart geredet. Wie der Ausverkauf der DDR tatsächlich abzuwenden sei, wie speziell in Berlin die Probleme von Schwarzmarkt und Schwarzarbeit zu bewältigen seien, blieb offen.

kd