: Biermann denkt Rücksiedelung an
■ 1976 ausgebürgerter Liedermacher und Schriftsteller Jürgen Fuchs überreicht in Ost-Berlin Kulturminister vor Konzerten in Leipzig und Ost-Berlin Forderungskatalog / Keller nennt Ausbürgerung einen Fehler
Ost-Berlin (ap) - Der 1976 ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann traf zu einem dreitägigen Besuch seiner alten Heimat in Ostberlin ein. „Ich freue mich“, sagte Biermann, als er den Grenzkontrollpunkt Invalidenstraße passiert hatte. Er folgte einer Einladung des DDR-Komitees für Unterhaltungskunst. Biermann kann sich 24 Jahre nach seinem Berufsverbot eigenen Worten zufolge sogar vorstellen, wieder in die DDR zurückzusiedeln: „Dafür reicht meine Phantasie aus“, sagte er wörtlich. Am Freitag abend und am Samstag wollte der Künstler an zwei Konzerten in Leipzig und Ost -Berlin teilnehmen.
An der Grenze sei er mit „unnormaler Normalität“ behandelt worden, erklärte der 52jährige Biermann. Er könnte „von hier aus zu Fuß nach Hause gehen“, doch leider habe er keine Zeit dazu. Biermann wurde von dem ebenfalls ausgebürgerten Autor Jürgen Fuchs und dem 1983 aus der DDR verwiesenen Jenaer Bürgerrechtler Roland Jahn begleitet.
Am Mittag übergab er DDR-Kulturminister Dietmar Keller einen Forderungskatalog. Er sei nicht gekommen, um dem Kulturminister „die Knie zu tätscheln“, versicherte Biermann. Er übergab Keller einen Katalog mit Forderungen und Namen von 77 ausgebürgerten Autoren (siehe Dokumentation). „Ich will nicht über mich sprechen, sondern über meine Kollegen, die halb geflohen, halb hinausgeworfen in den Westen geraten sind“, erklärte er in Ost-Berlin. Sie müßten genauso das Recht besitzen, wieder die DDR besuchen zu können. Biermann wollte bei Keller ferner die sofortige Aufhebung der Zensur für alle Bücher und Schallplatten der aus dem Land gedrängten Künstler sowie freie Arbeitsbedingungen anmahnen.
Nach dem Gespräch mit Biermann räumte DDR-Kulturminister Keller ein: „Die Ausbürgerung war ein Fehler.“ Der SED -Politiker versprach eine liberalere Kulturpolitik und wünschte dem Liedermacher für sein Gastspiel in Leipzig „ein gutes Publikum“. Biermann nannte das Gespräch „positiv“. Es habe die Tür zu einer weiteren Öffnung aufgestoßen. Er fügte hinzu: „Ich kann es kaum erwarten, mich in meinem eigenen Land zu tummeln.“
Zuletzt hatte die DDR Biermann die Einreise am 4.November dieses Jahres verweigert. Der Autor hatte während der Millionen-Demonstration auf dem Ostberliner Alexanderplatz teilnehmen wollen.
Ingomar Schwelz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen