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S C H Ö N E R L E B E N „Feige“

■ Gemeinsamkeit der Demokraten im Sentiment

Freudige Fraktionen singen zum Mauerfall. Kein Lager, aus dem es nicht „Wiedervereinigung? - Aber hallo!“ summte. Und nun: Ein Toter an der Taunus-Therme. Schweigeminuten, Tränen und Gebete, wohin das Auge fällt. Das Boot, in dem wir alle sitzen, hat Tiefgang. Bis in die Wahl der Worte sickert Gemeinsamkeit: Ohne Manuskript sprachen Kohl, Vogel, Lambsdorff, Wallmann und Nachrangige vom feigen Mord. Ein Pleonasmus. Mord ist qua Definition heimtückisch und gemein. Als gäbe es „mutigen Mord“ (Aug‘ in Aug‘? Duell? Suizidkommando?). Ist „Mord“ so stumpf, daß es einer emphatischen Doppelung bedarf, in deren „fff“ sich soviel Atem legen läßt, deren gedehntes „ei“ sich so weh wimmern läßt? Oder ruft der Anschlag auf das „intelligenteste Symbol bundesdeutschen Unternehmertums“ (taz) andere Konnotationen von „feige“ auf den Plan? Das Militärrecht kannte (und kennt, z.B. in der Schweiz) die „Feigheit vor dem Feind“, auf das die Todesstrafe steht. Das in Athen mit dem Tragen von weiblicher Kleidung auf dem Markt bestraft, in Rom mit „Dezimiering“ der Kohorte. Die Germanen begruben den Feigen lebendig.

Und auch das steckt in „feige“: das althochdeutsche feigi meint „dem Tod verfallen, unselig, verdammt“, eine Bedeutung, die hervorragend zum grollenden Unterton paßt, der die Botschaften der wehrhaften Demokratie hundetreu zu begleiten pflegt. Burkhard Straßman

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