: Prima Leben unterm Stiefel
Montagsexperten kommen zu Wort. Heute: Kurt Masuhr ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9
Folgendes Flugblatt kursiert unter der Überschrift „Frankfurt - Heldenstadt“ seit gestern in Berlin (West und Ost). Wir dokumentieren.
Die Idee kam dem grünen Frankfurter Umweltdezernenten Tom Koenigs nicht erst bei der Eröffnung des diesjährigen Waldbauerntages, sondern schon vorher: als das Trauergeläut des Doms und das daran sich anschließende Turmblasen der Alten Nikolaikirche erscholl.
Er telefonierte danach sofort mit dem portefeuillosen Dezernenten für Multikulturalität in der Mainmetropole, Daniel Cohn-Bendit. Der war begeistert: „Es waren auch 260 türkische Bankangestellte im Trauerzug der Zehntausend!“
Wenig später war auch Joschka Fischer im Parteibüro informiert, der nun seinerseits sich mit Antje Vollmer beriet. Sie hatte kurz zuvor der 'Frankfurter Rundschau‘ gegenüber noch den Eindruck vermittelt, daß sie auch einen Tag nach dem Attentat auf den Präsidenten der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, „ganz vom Gefühl des Scheiterns beherrscht zu sein“ schien. Zu allem Überfluß hatte dann auch noch ein paranoider oder witzig sein wollender Sprecher der Bürgerinitiative Vogelsberg-Süd bei ihr zu Hause angerufen und gefragt, ob jetzt nicht durch den feigen Mord ihre Kampagne für das „Nobel Bike“ vollkommen diskreditiert sei?
Der gerade mit überwältigender Mehrheit von der SPD München -Land zum Bundestagskandidaten gekürte Wechselwähler Otto Schily wurde am Nachmittag informiert. Er erinnerte sich daran, daß er, „wie Herrhausen“, ebenfalls auf einer Eliteschule primärgeformt worden sei und daß sie beide, Herrhausen und er, Schily, stets sich für mehr Populärität „auf allen Ebenen“ eingesetzt hätten. Gerade habe er der Berliner taz Herrhausens „Plädoyer für Performance“ geschickt, und sie, die taz, habe ihm versprochen, es abzudrucken: „Eigentlich muß das Vera Gaserow, zur Zeit in Malta, entscheiden, aber wir drucken jetzt alles von Herrhausen ab“, so O-Ton von Chefredakteurin Georgia Tornow. „Inhaltlich“ sei man sich in der Kochstraße vor allem mit dem vehementen Eintreten des verschiedenen Bankiers und Selfmade-Manns für „Berichterstattung und Kommentierung“ einig. Am Abend bereits war die Marschroute klar: Frankfurt wird westdeutsche Heldenstadt. Bereits ab kommender Woche wird jeden Freitag ein Trauerzug von Bankangestellten durch die Frankfurter Innenstadt ziehen. Auch ihre Forderungen werde man sich zu eigen machen: „Weg mit dem Terrorismus! / Selbstbestimmung des Kollegiums bei der Einstellung neuer Mitarbeiter! / Selbstbestimmung bei der Wahl der Mitmieter! / Mitbestimmung bei der Arbeitsplatzumgestaltung! / Sofortiger Stopp des Abpollerns in der City!“
Wer diese Initiative unterstützen möchte, wende sich an „Der neue Pflasterstrand“, c/o Mathias Horx, Hamburger Allee 45, 6000 Frankfurt 90.
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