: Multikulturelles Warming Up
■ Nur wenig Menschen fanden sich zum multikulturellen Treffen vor dem Brandenburger Tor ein / Reißender Absatz von Mauer-Souvenir-Stückchen
Deutsches Liedgut ist nicht gefragt an diesem Samstag vor dem Brandenburger Tor. Stattdessen Sirtaki, „Bandiera Rossa“, und die „Internationale“. Zuerst auf polnisch, dann unterstützt von einem griechischem Tenor und einem türkischem Bariton. Daß sich ausgerechnet die Polen bei diesem Lied als Vorsänger profilieren, erscheint einigen Anwesenden schon fast wieder historisch. Ansonsten gerät das geplante internationale Spektakel gegen Deutschtümelei und zunehmende Ausländerfeindlichkeit eher zum multikulturellen „warming up“. Bei erbärmlich kaltem Wetter halten sich die rund 200 Versammelten - ob aus Polen, Griechenland, der Türkei, Kurdistan oder Italien - durch Trommeln und Sprüche warm. „Wir bleiben hier“, skandieren sie in Anlehnung an die zur Zeit weitaus demonstrationsfreudigeren DDRler. Daß auch die DDR ihre Probleme mit Rassismus hat, konstatiert ein Bauingenieur aus Ost-Berlin. Über die Polen werde viel hergezogen und über „die Schwarzen mit ihrem anderen Temperament“, die brächten eben doch Unruhe ins Land.
Auch die taz bekommt ihr Fett ab: einige Frauen vom „Interkulturellen Feministischen Forum“ (IFF) protestieren über Megaphon dagegen, daß die Stelle einer Afrika -Redakteurin der DDR-Berichterstattung zugeschlagen wurde (was allerdings kein Dauerzustand, sondern zeitlich befristet ist, d. Red.). „Ein erbärmlich beschränktes und umso gefährlicheres weißes Miniweltbild“, kommentiert eine Frau.
Was tun gegen den wachsenden Nationalismus? „Ausländerwahlrecht und Widerstand gegen die geplante Verschärfung des Ausländerrechts“, fordert der Italiener Saba von „Nix Verboden“, der die Aktion mitorganisiert hat. „Revolution - nur die revolutionäre Organisation der Massen hilft,“ beteuert ein junger Türke. Doch die Massen sind diesseits der Mauer weder organisiert noch revolutionär allenfalls souvenirgeil. Farbfotos von Mauergraffitis und kleine Mauerstückchen, sorgfältig nach Größe sortiert und ausgepreist, finden reißenden Absatz.
anb
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