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DKP: Viel Verdrängung, wenig Scham

Die DKP diskutierte die Lage der Partei angesichts der Entwicklung in der DDR / Vorwärts in der sozialistischen Tagesordnung / Selbstkritiker wurden ausgebuht / Der Bruch der Partei ist unausweichlich  ■  Aus Wuppertal Walter Jakobs

„Er ist ein heruntergekommener Außenseiter“, einer der zusammen mit Bahro „große antikommunistische Lügen verbreitet“. Das hat die 'UZ‘, die Zeitung der DKP, im Jahr 1975 über Wolf Biermann geschrieben. Als Uschi Nienhaus, Kölner Erneuerin, die etwa 1.000 Genossinnen und Genossen der DKP, die am Samstag nach Wuppertal gekommen sind, um die Lage der Partei angesichts der Entwicklung in der DDR zu diskutieren, an die „gemeine und schmutzige Sprache“ der 'UZ‘ in der Anti-Biermann-Kampagne erinnert, da wird der Zustand der „Deutschen Kommunistischen Partei“ schlaglichtartig klar. „Das war doch richtig“, eine „Obersau ist das, der Biermann“, zischeln ein paar ältere Genossinnen in der ersten Reihe. Wenn es nach ihnen ginge, wäre der scharfzüngige Barde, der einen Abend vorher wieder in Leipzig auftreten durfte, nie wieder reingelassen worden. Nicht Umkehr, Scham oder Trauer über die eigene Verblendung bricht sich bei der Mehrheit der anwesenden DKPler Bahn, sondern blinder Haß gegen einen, dem scheinbar nichts heilig ist. „Mit Leuten wie Biermann möchten wir keinen Neuanfang“, ruft eine Bremer Altgenossin, und ihr wird heftig applaudiert.

In Frankreich haben nach dem 20. Parteitag der KPdSU viele Kommunisten geweint. Plötzlich waren die vermeintlichen Lügen der bürgerlichen Presse über Stalin wahr. Der französiche Kommunist Jean Elleinstein hat das Entsetzen in seiem Buch Geschichte des Stalinismus 1975 eindrucksvoll geschildert. Ein solches Erschrecken über die eigene Willfährigkeit, über das Verdrängen, über den Selbstbetrug und die Lügen, ja über die jahrelange Verteidigung schwerster Verbrechen - es findet in Wuppertal bei der Mehrheit der Anwesenden nicht statt. Im Gegenteil, diejenigen, die ihre persönliche Schuld und ihr Versagen eingestehen, ernten bei der Mehrheit nur eisiges Schweigen oder Häme und Spott. Wenn es noch eines Beleges für die fatalen Ergebnisse kommunistischer Partei- und Organisationsstrukturen bedurfte - der Mikrokosmus DKP bietet sich als Lehrbeispiel an.

In der DDR wurden, durch „eine selbstbewußte demokratische Bewegung, leider nicht eingeleitet durch die SED, schwere Fehler und Deformationen ebenso sichtbar wie Korruption und Amtsmißbrauch“, sagt Rolf Priemer, Präsidiumsmitglied der DKP. Eine für die DKP-Mehrheit typische Formulierung, Wort für Wort die Situation verklärend. Demokratische Bewegung? Im Parteivorstand gab und gibt es nach wie vor Stimmen, die in dieser „demokratischen Bewegung“ die „nackte Konterrevolution“ sehen. Wäre die „demokratische Bewegung“ am 9. Oktober in Leipzig mit Gewalt zerschlagen worden - die Mehrheit des DKP-Vorstandes hätte dies, wie 1968 in Prag, als Sieg über die Konterrevolution gefeiert. In der DKP -Führung regierten nicht die Wendehälse, „sondern die Schwanenhälse“, die sich fünfmal wendeten und immer noch keinen Grund zum Rücktritt sähen, ruft eine junge Frau aus Hamburg. Darauf reagiert das gräßliche linke Volksempfinden im Saal mit bösen Zwischenrufen. Auf Ellen Weber, stellvertretende Parteivorsitzende und Hardlinerin der ersten Stunde, trifft diese Beschreibung der „Schwanenhälse“ wie auf kaum eine andere zu: „Wir waren jahrzehntelang eingefangen in den Beobachtungsprozeß der Gegner des Sozialismus“, und diese Observation habe „den Blick verstellt für Fehler, die nicht mit dem Imperialismus zusammenhängen“, lautet die Selbstkritik der Genossin Weber. Jetzt reden viele in der DKP wieder von „Deformationen des Sozialismus“, wie sie immer von „Deformationen“ resolutioniert haben, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals stand. Kein Innehalten, sondern zurück zur Tagesordnung, denn eins wissen sie schon wieder ganz genau: „Der Sozialismus ist und bleibt die Gesellschaft der Zukunft.“

Einzig die Erneuerer innerhalb der Partei, und hierunter vor allem die Frauen, sind es, die das ganze Ausmaß des kommunistischen Lügengebildes benannten. Christine Reimann aus Hamburg hält mit zitternder, fast versagender Stimme einen erregenden Beitrag: „In Trauer und Scham muß ich eingestehen, daß auch ich die Haßbroschüren gegen den Prager Frühling geschrieben habe.“ Eine andere junge Genossin gesteht, die letzte und entscheidende Erkenntnis habe sie beim Anblick der Fernsehbilder am 9. November gewonnen. „Am Ausmaß der Freude habe ich gesehen, was für ein Ausmaß an Unterdrückung da geherrscht haben muß.“

Sie habe gelernt, daß man keinem Volk ein System aufzwingen könne. Ein unglaubliches Maß an „individueller und kollektiver Amoralität“ sei in der kommunistischen Bewegung und der DKP offenbar geworden. Doch der Ruf, daß wenigstens die Verantwortlichen in der DKP-Spitze sofort „wegtreten“ müßten, verhallt ungehört. Ein Rücktritt jetzt, so Präsidiumsmitglied Rolf Priemer, wäre „verantwortungslos“. Auf die Entwicklung der DKP hätte der Rücktritt eh keinen Einfluß mehr.

Seit Samstag ist für die Erneuerungsströmung klar, daß eine Einigung mit der Betonfraktion über einen Neubeginn nicht mehr möglich ist - unabhängig vom Ausgang des Parteitages. Die Minderheit will sich eigene Organisationsstrukturen schaffen. In der kommenden Woche wird in den Hochburgen der Erneuerer, in Hamburg und Bremen, der Bruch mit der alten Partei auf der Tagesordnung stehen. Die Mehrheit will dagegen weitermachen wie bisher, nur ehrenamtlich. Was die Partei immer als Verleumdung des Verfassungsschutzes gebrandmarkt hat, wurde am Samstag offen angesprochen. Nach Einstellung der Zahlungen aus der DDR ist die Partei pleite. Der Großteil der 600 Hauptamtlichen wird sich in den nächsten Wochen beim Arbeitsamt melden müssen.

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