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Der Selbstbedienungsstaat

Der Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses zu Amtsmißbrauch, Korruption und persönlicher Bereicherung hat die Abgeordneten der Volkskammer am Freitag erschüttert. Den liberaldemokratischen Abgeordneten Wilhelm veranlaßte er dazu, auf die Gefahr hinzuweisen, daß Funktionäre, die mit Revolvern bewaffnet sind, unbequeme Fragesteller mit in den Tod nehmen könnten. Ganz abwegig scheint selbst diese Befürchtung nicht mehr, häufen sich doch die Selbstmorde ehemaliger Funktionäre. Vor allem aber zeigt diese Episode, welch desperate Stimmung durch die Enthüllungen der letzten Tage in der Führungsetage der DDR entstanden ist.

Die Rede ist von umfassender Korruption, deren Ausmaß erst in Ansätzen aufgedeckt ist. Korruption meint den Mißbrauch eines öffentlichen Amtes zu privaten Zwecken. Der Tatbestand setzt die Trennung von beidem voraus. Ein Feudalherr etwa, der die Abgaben seiner Untertanen verpraßt, tut nur, was seines Amtes ist. In der DDR - wie in allen „sozialistischen“ Staaten - wurde die Trennung von Amt und Person ideologisch in umgekehrter Richtung aufgehoben: Diejenigen, die über die Macht verfügten, postulierten, nur der „historischen Mission der Arbeiterklasse“ zu dienen. Askese - so wollten sie glauben machen - war ihrem Selbstverständnis angemessener als Repräsentation. Sie nannten sich „Sekretäre“ und „Funktionäre“ und benutzten ihre Privilegien scheinbar nur als mit ihrem jeweiligen Amt verbundene Pflichten.

Der Bericht von Heinrich Toeplitz (CDU) an die Volkskammer über die bisherigen Ergebnisse der Arbeit des Untersuchungsausschusses zeigt, daß weit darüber hinaus in die eigene Tasche gewirtschaftet wurde. Folgende Punkte führte er in seinem Bericht auf:

1. private Baumaßnahmen. „Auf Antrag der Väter“ wurden Häuser für die Kinder der ehemaligen Politbüromitglieder Stoph, Kleiber, Krolikowski, Mittag und Sindermann errichtet. Zum Teil wurden den Bonzenkindern die Häuser weit unter Marktwert verkauft, teils vermietet. Insgesamt ist der Untersuchungsausschuß bisher in 32 Fällen des Baus von Einfamilienhäusern fündig geworden.

2. Sonderjagdgebiete. Jeder weiß, daß Erich Honecker ein leidenschaftlicher Jäger ist. Für ihn und andere seines Kreises wurden etwa im Bezirk Neubrandenburg 20 Prozent der Waldfläche als militärische Sperrgebiete abgeschirmt, so daß sie ihrem Hobby ungestört von lästigen Spaziergängern nachgehen konnten. Zum Unterhalt dieser Sonderjagdgebiete wurden umfangreiche Fahrzeugparks und „eine beträchtliche Anzahl von Arbeitern und Angestellten“ eingesetzt. Finanziert wurde das Ganze aus dem „Fonds Rohholzerzeugung, Landeskultur und Forstschutz“. Diese Sonderjagdgebiete sind inzwischen aufgehoben worden.

3. persönliche Privilegien. Dazu gehört insbesondere die Prominentensiedlung Wandlitz, deren Bewohner mit Häusern, Hauspersonal, kostenlosen Dienstleistungen und privilegiertem Zugang zu westlichen Konsumgütern versorgt wurden. Nicht nur die Partei- und Staatsführung, sondern „auch Kinder und Enkel der Bewohner von Wandlitz“ durften in dieser Enklave schon im Kommunismus leben.

Ein weiterer Fall persönlicher Bereicherung löste in der Volkskammer einen Aufschrei aus: 1978 wurde die Institution von „Ehrenmitgliedern der Bauakademie“ eingerichtet. Das war nicht nur ein Titel, sondern mit beträchtlichen Zuwendungen verbunden: 20.000 Mark jährlich. Noch im gleichen Jahr wurden durch den Bauminister, der selbstverständlich auf Weisung des SED-Politbüros handelte, Erich Honecker und Günter Mittag zu solchen „Ehrenmitgliedern“ ernannt.

4. die „Stasi“. Ein besonderes Kapitel galt in dem Bericht dem ehemaligen Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke. Er hat in dem Dorf Wolletz bei Angermünde seinen Landsitz. Von dort erreichte den Untersuchungsausschuß eine Hilfeschrei der Dorfbewohner. Sie beklagten, daß in ihrem Dorf für Stasi-Mitarbeiter „Neckermann-Häuser gebaut“ und „den Bürgern auch der für sie bestimmte Wohnblock weggenommen“ worden sei. Zudem stünden die Bewohner unter permanenter „Kontrolle und Bewachung“.

Der neue Chef des Amtes für Nationale Sicherheit, Schwanitz, ergänzte dieses Bild seines Vorgängers noch durch die Mitteilung, daß er „bei seinem Amtsantritt am 18.11. zwei leere Panzerschränke vorgefunden habe“. Ob es dem Untersuchungsausschuß gelingt, den Inhalt dieser Panzerschränke jemals aufzuspüren, darauf darf man gespannt sein.

Mit Spannung auch hätte man der nächsten Tagung der Volkskammer entgegensehen können: Dann sollte Alexander Schalk-Golodkowski, der für den Bereich Kommerzielle Koordinierung zuständige Staatssekretär, Rede und Antwort stehen. Bei ihm sind - das ist jetzt schon klar - sehr viele Fäden der Privilegienwirtschaft zusammengelaufen. Das sieht er selbst wohl genauso, denn inzwischen hat er sich ins Ausland abgesetzt.

Walter Süß

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