: Göttingen-betr.: "Bitte nicht plattmachen", taz vom 27.11.89
betr.: „Bitte nicht plattmachen“, taz vom 27.11.89
Die Berichterstattung über die jüngsten Göttinger Vorgänge in den bundesdeutschen Medien zeigt aufs neue, wie sehr die Hetzkampagnen gegen antifaschistische Bewegungen auch von den Medien getragen werden.
Die taz ist bis jetzt für mich die rühmliche Ausnahme gewesen. Aber wie könnt Ihr Polizeimeldungen so unreflektiert übernehmen? Es ist doch offensichtlich, daß die Vorkontrollen um Göttingen herum dazu da waren, um hinterher eine dicke Erfolgsbilanz der Polizei vorweisen zu können.
So wird in den 63 Müllsäcken ein buntes Sammelsurium von Reservekanistern, leeren Cola-Flaschen, Wagenheberteilen und womöglich sogar Halstüchern und Schals zu finden sein. Ich hätte gedacht, daß Euch das Verständnis unserer Ordnungshüter von Waffen - wohlgemerkt, wenn es um DemonstrantInnen geht - bewußt ist.
Ich kämpfe seit Jahren um Möglichkeiten von gewaltlosem Widerstand. Aber die Demo von Samstag hat mir klare Fakten vor Augen geführt. Es haben Scheiben geklirrt. Das rechtfertigt aber weder das Auffahren von Wasserwerfern noch das Auftreten von bis an die Zähne bewaffneten Mannschaften, die sie dem Demozug entgegenstellen. Wäre der autonome Block nicht vorweggegangen und hätte diese Einheiten nicht mit Steinen vertrieben, hätten 15.000 Menschen nicht weiterdemonstrieren können.
Es ist Tatsache, daß die Abschlußkundgebung nicht zu Ende gebracht werden konnte, weil von allen Seiten Polizeieinheiten anrückten. Es ist Tatsache, daß abziehende DemonstrantInnengruppen von Polizeieinheiten angegriffen und zum Teil verprügelt wurden. Es ist Tatsache, daß Hunderte auch „nicht militante“ DemonstrantInnen von knüppelschwingend heranstürmenden Hundertschaften überrannt worden wären, wenn sich ihnen nicht Autonome mit Steinen und leider auch einem Molli in den Weg gestellt hätten.
Nach diesen Erlebnissen von Samstag frage ich mich ernsthaft, ob wir schon so weit sind, daß eine wiederholt erklärtermaßen gewaltlose Demonstration nur noch unter dem Schutz von militanten Einheiten durchzuführen ist.
Almut Schilling, Hardegsen
Der Artikel enthält eine Menge von Verdrehungen und Weglassungen im Sinne eines Jammerns von einem Spießbürger. (...) Der Gesichtspunkt Widerstand wird von der taz verdreht in Hilflosigkeit. Dazu paßt auch, daß nur der zweite Teil der Parole in der taz zitiert wird: „Scheiben klirren und ihr schreit - Menschen sterben und ihr schweigt.“
Von der „Hilflosigkeit“ war nichts zu spüren, als im Anschluß an die Reden am „Tatort“, wo Conny W. von der Polizei in den Tod getrieben worden ist, ja mehrere Tausend wie aus einem Guß gerufen haben: „Feuer und Flamme für diesen Staat.“ In diesem konkreten Augenblick konnte jeder Anwesende den Hauch von Kraft und Willen spüren, der notwendig ist, um Berge zu versetzen. (...)
Peter Clausen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen