„Es wurde zu viel gemischt und zu wenig ausgelotet“

Die DDR-WirtschaftsforscherInnen Christine Kulke-Fiedler, Jürgen Nitz und Eberhard Lang über ihre Arbeit am Ostberliner „Institut für Internationale Politik und Wirtschaft“  ■ INTERVIEW

Am 17. November erschienen in der (Ost-)'Berliner Zeitung‘ Auszüge aus Überlegungen zum Konzept „DDR und die Internationale Arbeitsteilung“. Darin erläutern die drei WissenschaftlerInnen des Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW), daß eine tiefgreifende Wirtschaftsreform auch die Neugestaltung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen der DDR umfassen muß. Dazu gehören, so fordern sie, die Einrichtung von Wirtschaftssonderzonen, Joint-ventures und die Prüfung des Beitritts zum Internationalen Währungsfonds. Die taz sprach mit den drei VerfasserInnen über ihre Tätigkeit am IPW und die Wende in der Wirtschaftswissenschaft. Christine Kulke-Fiedler und Jürgen Nitz arbeiten als Professorin bzw. Professor am IPW, Eberhard Lang ist dort Diplom-Ökonom. Der zweite Teil des Interviews (über IWF, Sonderzonen und Joint-ventures) erscheint am Donnerstag.

taz: Haben Sie nicht in den letzten Wochen so viel Papier produziert, wie in all den Jahren zuvor zusammen nicht?

Jürgen Nitz: Wir haben immer Bücher produziert, Analysen geschrieben, Interviews gegeben, sind in DDR-Publikationen an die Öffentlichkeit getreten - zugegebenermaßen vielleicht deutlicher auf Konferenzen in westlichen Industrieländern. Natürlich haben wir aber in letzter Zeit stärker in die aktuelle Diskussion eingegriffen und vor allem auch in Tageszeitungen der DDR veröffentlicht, was wir früher fast nie taten.

Sind es denn nur andere Medien oder auch andere Inhalte? In den siebziger und achtziger Jahren fand ja keine auch nur annähernd kritische Bestandsaufnahme der DDR-Wirtschaft statt. Wenn Sie nun in der 'Berliner Zeitung‘ Wirtschaftssonderzonen, die Prüfung des Beitritts zum IWF usw. fordern - das haben Sie doch früher unterlassen.

Nitz: Das stimmt zwar. Wir hatten mit unseren Publikationen allerdings auch in der Vergangenheit gewisse Konflikte. In jüngerer Zeit haben wir einen Zahn zugelegt. Aber die Grundposition unseres Artikels in der 'Berliner Zeitung‘ ist uns ja nicht über Nacht zugeflogen, in der Weise haben wir bereits im Frühjahr einen Artikel verfaßt, der allerdings jetzt erst in den IPW-Materialien Nr. 1/1990 veröffentlicht wird: eine sehr kritische Bestandsaufnahme des Ost-West -Handels mit Schlußfolgerungen für die sozialistische Wirtschaft.

Kulke-Fiedler: Seit Mitte der achtziger Jahre, parallel zum Beginn der Perestroika in der Sowjetunion, hat sich bei uns etwas geändert. Die neuen Sichtweisen der dortigen Wissenschaftler haben einen enormen Einfluß auf uns gehabt. Die Debatten liefen zunächst allerdings noch hinter verschlossenen Türen.

Wie war denn Ihr Verhältnis zu Günter Mittag, dem zuständigen Herrn für Wirtschaft im Politbüro der SED?

Kulke-Fiedler: Im Frühsommer des vergangenen Jahres erarbeiteten wir beispielsweise eine Analyse zur Frage der Joint-ventures und bemühten uns mit unserem ganzen Elan, daß das auch in der DDR publiziert wird. Wir waren verpflichtet, solche Dinge erst im Büro Mittag vorzulegen. Die Reaktion lautete damals, wir mögen das doch noch einmal überdenken. Ich bin unserem Institut jedoch dankbar, daß wir es trotzdem - lange vor der Wende in der DDR - einfach an die Öffentlichkeit gebracht haben.

Nitz: Ein paar neuralgische Punkte gab es, über die in unserem Arbeitsgebiet wenig oder gar nichts geschrieben wurde: Joint-ventures oder auch Wirtschaftssonderzonen beispielsweise. Es war unmöglich, über die Wirtschaftsbeziehungen der DDR zur Bundesrepublik oder West -Berlin zu schreiben. Im Grunde genommen war unser Institut überhaupt das einzige, aus dem heraus auf diesem Gebiet veröffentlicht werden konnte - in hauseigenen Publikationen oder in der Bundesrepublik. Ich habe das des öfteren praktiziert. Sowas machte diese Themen auch für die DDR hoffähig.

Eberhard Lang: Das IPW hat allerdings vor allem westliche Länder analysiert. Deswegen standen wir nicht so ganz im Blickpunkt von Herrn Mittag. Wir haben uns ja nicht in erster Linie mit sozialistischer Ökonomie in der DDR beschäftigt, bei der man am ehesten anecken konnte. Ich kannte einen Professor, der sich mit mittelständischer Industrie beschäftigt hatte. Er konnte dann nicht mehr arbeiten, weil die Kombinatswelle sein Studienobjekt beiseite gedrängt hatte, und verließ das Institut. Heute ist er ganz groß da, weil sein Thema wieder im Kommen ist.

Nitz: Wenn Sie nach unserer persönlichen Schuld fragen: Ich sehe sie darin, daß wir uns möglicherweise zu wenig in innere DDR-Angelegenheiten eingemischt haben. Ob es was genutzt hätte, ist eine andere Frage.

Man hätte es stärker ausreizen können?

Kulke-Fiedler: Wir vollzogen immer so eine Art Gratwanderung. Wir haben stets versucht, etwas weiter als die offizielle Linie zu gehen. Aber selbstkritisch muß ich heute sagen, wir hätten in der Tat stärker ausreizen müssen, wie weit wir gehen konnten.

Nitz: Wir hätten es ja einfach mal drauf ankommen lassen können.

Kulke-Fiedler: Ich will damit nichts entschuldigen, aber ohne diese Gratwanderung wäre es uns andererseits unmöglich gewesen, überhaupt Vorwärtsweisendes in die Diskussion zu bringen.

Gab es denn auch einmal Sanktionen?

Nitz: Bei uns nicht. Wir unterstanden ja nicht Herrn Mittag. Wir waren immer ein selbständiges Institut, in das freilich hineingewirkt wurde. Bei problematischen Themen - aber eigentlich immer nur, wenn es im Westen aufgegriffen wurde kam prompt der Anruf aus dem Büro Mittag: Wie konnte das passieren, was ist da wieder los?

Kulke-Fiedler: In unserem Institut herrschte - intern - eine sehr freie Diskussionsatmosphäre. Ich war aber beispielsweise neulich auf einer Wirtschaftstagung des Neuen Forums und traf eine Reihe ehemaliger Politökonomen, die heute andere Arbeitsplätze haben. Sie seien zwar nicht regelrecht aus ihrem Institut herausgeworfen worden, ihnen war aber das Arbeiten völlig verunmöglicht worden. Sie haben dann von sich aus gekündigt.

Lang: Es kam natürlich immer darauf an, wie man etwas sagte. Vorschläge zur Verbesserung der DDR-Weltmarktfähigkeit beispielsweise waren immer drin. Es war ein Suchen nach der richtigen Mischung und ein ständiges Ausloten.

Kulke-Fiedler: Ja, aber es wurde zuviel gemischt und zu wenig ausgelotet.

Haben Sie eigentlich auch einmal gemerkt, daß ihre Vorschläge Früchte getragen, zu konkreten politischen Ergebnissen geführt haben?

Nitz: Wir haben sicherlich Vorarbeiten geleistet für die stärkere Zusammenarbeit mit westlichen Ländern. Wir sind nicht die Erfinder der Industrie-Kooperation oder des Lizenzhandels. Aber wir haben all diese Begriffe im Lande bekannt gemacht, bei unseren zahlreichen Vorträgen vor Leitungskadern und Kombinats-Direktoren die Gedanken von heute schon vor einiger Zeit verbreitet.

Kulke-Fiedler: Wir leisteten einen Beitrag dazu, daß sich die vorhandenen Tendenzen zu weiterer Abschottung der DDR -Wirtschaft nicht so durchsetzen konnten, wie das von einigen beabsichtigt war. Wir propagierten die weltwirtschaftliche Öffnung der DDR seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten.

Interview: Ulli Kulke und Walter Süß