piwik no script img

„Jetzt haben wir endlich gesiegt“

Auch in der tschechoslowakischen Provinz formiert sich der Widerstand des Bürgerforums / Wut über Wendehälse und Privilegien / Neben der Unterstützung der Politik des Prager Forums die Forderung nach mehr Umweltschutz  ■  Aus Primda Katerina Wolf

18 Kilometer östlich der bundesdeutsch-tschechischen Grenzen bei Waldhaus/Rozvadoy liegt das Dorf Primda. Ein Großteil seiner 2.000 EinwohnerInnen arbeitet in der Holzindustrie. Eine romantische Burgruine aus dem zwölften Jahrhundert, eine „Schule in der Natur“, in der Kinder aus ökologisch besonders belasteten Gebieten mehrere Wochen gesunde Luft atmen sollen, und eine Tankstelle - das sind weitere besondere Kennzeichen des Ortes. In einem kleinen Gasthof sitzt am frühen Samstag nachmittag eine Handvoll Jugendlicher bei Cognac und Bier. Auf die Frage, ob es in Primda denn bereits ein Bürgerforum gebe, wird in die Küche verwiesen. Während der Zubereitung von Kotelett und roten Beten berichtet der Koch Marek von der Oppositionsbewegung. Rund 200 interessierte ZuhörerInnen hatten die aus Plzen angereisten Schauspieler bei ihrer Veranstaltung vorgefunden, 40 EinwohnerInnen aus allen Teilen der Bevölkerung arbeiten jetzt im Forum aktiv mit. Einen festen Versammlungsort hat die Oppositionsbewegung in Primda noch nicht: Der Nationalausschuß stellte zwar für die Versammlung am Sonntag einen Saal zur Verfügung. Forderungen nach Räumen, die jederzeit zur Verfügung stehen, stießen jedoch bislang auf taube Ohren.

Die Funktionäre der Kommunistischen Partei verteidigen ihr Machtmonopol und versuchen gleichzeitig, ihr Fähnchen in den richtigen Wind zu hängen. Die Ziele des Bürgerforums seien schon immer die ihren gewesen, tönt es von offizieller Seite. In der sich langsam mit Mitgliedern der Opposition füllenden Küche macht sich die Wut über diese „Wendehälse“ Luft. „7.000 Kronen verdienen viele von denen, und ich habe nur 1.200“, meint der Kellner. Andere schimpfen auf Luxuswohnungen mit Swimmingpool, während sie selbst zum Baden in die umliegenden Städte fahren müssen. Geteilter Meinung ist man über die Frage, ob die Kommunisten bestraft werden sollten, die für die Krise des Landes verantwortlich sind. Manche wären schon damit zufrieden, wenn die FunktionärInnen ihre leitenden Positionen abgeben müßten. Die Voraussetzung dafür sei, daß auch in den kleinen Gemeinden der Einfluß des Bürgerforums wachse.

Einen Mangel an Informationen, über den die Prager Oppositionellen beim Blick auf das Land immer wieder klagen, kennt das Forum in Primda nicht. Einige Mitglieder marschierten bereits bei den allerersten Demonstrationen auf dem Wenzelsplatz mit, von dort brachten sie neben Flugblättern auch die Aufbruchstimmung ins Dorf. Daran, daß es im nächsten Jahr freie Wahlen geben wird, haben die BürgerInnen Primdas keinen Zweifel. Sie wissen über die Krise des Landes gut Bescheid, sie kennen das Ausmaß der Umweltzerstörung ihres Landes, zitieren Zahlen über die Höhe des Ausstoßes an Schwefeldioxid, über das Absinken der durchschnittlichen Lebenserwartung. Dem Umbau des Wirtschaftssystems sieht man gelassen entgegen. Die Versorgung mit Konsumgütern und das Angebot an Dienstleistungen können nur besser werden, so der Tenor. Die nahe Bundesrepublik gilt als Vor bild.

Ähnlicher Optimismus wie in Primda herrscht in Plzen. Einem Taubenschlag gleichen die beiden Versammlungsräume. Die Nachricht, daß sich in einem Betrieb, der für die städtische Verwaltung produziert, die Grundorganisation der KP aufgelöst hat, wird mit Zufriedenheit aufgenommen. Stolz berichtet ein im Forum aktiver Tierarzt, daß er seit zwei Tagen nicht geschlafen habe. Für den Berlinder, der 15 Jahre seines Lebens in Gefängnissen verbrachte und durch Schläge von Polizisten die Hälfte seiner Zähne verlor, ist der Erfolg der Opposition späte Genugtuung seiner Leiden: „40 Jahre unseres Lebens haben sie uns genommen, doch jetzt haben wir gesiegt.“ Anfang letzter Woche demonstrierten 70.000 EinwohnerInnen auf dem Marktplatz Plzens - auch die Skodawerke, der größte Betrieb der CSSR, sind dem Aufruf zum Generalstreik gefolgt. Wie in Prag sind viele Gebäude mit Nationalfahnen geschmückt, kleben an den Schaufenstern Resolutionen, werden Videoaufnahmen des Polizeieinsatzes vom 17.November gezeigt.

Ohne Hektik löst das Bürgerforum die Frage, was mit den Flugblättern geschehen soll, die die Forderungen der Opposition verfälscht wiedergeben. In mühevoller Kleinarbeit werden sie von den Schaufenstern abgekratzt. „Wir lassen alle zu Wort kommen. Aber gegen Falschinformationen müssen wir einschreiten“, meint der Tierarzt. Es gilt als sicher, daß die Provokationen von Mitgliedern der KP aufgehängt wurden, doch will man ohne Beweise niemanden öffentlich anklagen.

Über die Gründung von Parteien wird in der westböhmischen Hauptstadt noch nicht diskutiert. Zunächst geht es um die Unterstützung der Politik des Prager Bürgerforums. Dennoch gibt es bereits Forderungen, die sich auf Plzen selbst beziehen. Denn neben Bier werden in dem Industriezentrum auch Stahl und Schwermaschinen erzeugt. Seit Jahrzehnten greift saurer Regen die historischen Bauwerke der bereits 1295 gegründeten Stadt an. Daß sich die Industrie endlich zum Einbau von Entschwefelungsanlagen bequemt, ist deshalb das vordringlichste lokale Ziel des Plzner Bürgerforums.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen