: Die Generalstaatsanwaltschaft gerät unter Beschuß
Die Generalstaatsanwaltschaft der DDR gerät jetzt auch in den Strudel des Skandals um den flüchtigen ehemaligen Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski. Die 'Berliner Zeitung‘ fragte am Montag, warum das Ermittlungsverfahren „just in dem Moment beginnt, da der Mann außer Landes, also nicht mehr greifbar ist“. Nach einer Meldung von Radio DDR sei der Generalstaatsanwalt eine Antwort auf diese Frage schuldig geblieben, obwohl seit Tagen Anzeigen und umfangreiches Material vorgelegen hätten.
Inzwischen wurden erste Forderungen nach einem Rücktritt von Generalstaatsanwalt Günter Wendland laut. Angehörige des Instituts für Theorie des Staates und des Rechts verlangten in offenen Briefen an Ministerpräsident Hans Modrow (SED) und Volkskammerpräsident Günter Maleude (Bauernpartei) die Ablösung des Chefanklägers und forderten indirekt auch den Rücktritt von Justizminister Hans-Joachim Heusinger (LDPD). Die Juristen und Rechtswissenschaftler warfen Wendland vor, nicht willens genug zu sein, die tiefe Krise in der Gesellschaft mit den ihm zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln und Methoden wiksam zu bekämpfen. „Die Tradition, Rechtsbeugung juristisch zu sanktionieren, muß gebrochen werden“, heißt es in dem von der Nachrichtenagentur 'adn‘ verbreiteten Brief an Modrow.
Wie die 'Berliner Zeitung‘ schreibt, liege vieles bei den von Schalck-Golodkowski kontrollierten Unternehmen im dunkeln. „Dieser Sumpf muß endlich trockengelegt werden, egal wieviel Schlamm nun noch hochkommt.“ Der ehemalige SED -Spitzenfunktionär wird verdächtigt, daß ihm unterstehende Firmen in illegale Waffengeschäfte verwickelt sind und Deviseneinnahmen nicht ordnungsgemäß abgeführt wurden. Noch vor wenigen Tagen führte er in Bonn Gespräche zur Vorbereitung des geplanten Besuchs von Bundeskanzler Kohl.
Journalisten der 'Berliner Zeitung‘ haben nach eigenen Angaben bereits am 20.November der Generalstaatsanwaltschaft „eindeutige Belege“ für die „zwielichtige Rolle Schalcks beim Bau von Eigenheimen luxuriösester Art für Kinder von Politbüromitgliedern, für sich selbst sowie für seine geschiedene Frau“ übergeben. Das Blatt wirft der Generalstaatsanwaltschaft eine zögerliche Haltung vor. Trotz konkreter Hinweise sei nichts passiert. „Der Mann, der uns alle betrogen hat, ist verschwunden. Sind damit auch Hunderte Millionen D-Mark futsch, die die DDR in Person von Schalck in diese Firmen zu stecken hat?“ Die Frage, wer es soweit habe kommen lassen, „steht im Raum, derzeit kann sie keiner beantworten“. Auch Modrow, dem das „merkwürdige Unternehmen“ Kommerzielle Koordinierung seit wenigen Tagen unterstellt sei, mache sich nun selbst Vorwürfe.
Die Zeitung vermutet, daß man es derzeit nur mit Spitze des Eisbergs zu tun habe. Die Fälle Waldsiedlung Wandlitz, wo „Halb- und Unwahrheiten“ verkündet worden seien, und des „ominösen Staatssekretärs“ Schalck-Golodkowski seien hierfür ein Beleg erster Ordnung.
Zu der Hilfe von Vertretern der Öffentlichkeit bei der Sicherung der Wohn- und Arbeitsräume Schalck-Golodkowski weil das Mißtrauen so groß ist, begleiteten Ostberliner Künstler und Kulturschaffende die Volkspolizei und halfen, die Schalckschen Arbeitsräume im nobel eingerichtetn Geschäftshaus in der Ostberliner Wallstraße zu sichern meint die Zeitung, nur naive Gemüter könnten glauben, daß der „Fanatiker der Verschwiegenheit“ die Zeit der staatsanwaltlichen und anderen Nachsicht nicht genutzt habe. „Schließlich war da ja noch ein Reißwolf, und diese Schnitzeljagd dürfte wenig bringen.“
Die Staatsanwaltschaft ist offenbar derzeit völlig überfordert. Es scheint, so die 'Berliner Zeitung‘, dringend geboten, daß andere Institutionen - zum Beispiel die Kripo sehr viel intensiver in die Bearbeitung der Fälle eingreifen müßten. Dies gelte auch für das Amt für Nationale Sicherheit.
dpa
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