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UNBEKANNTES DRITTES

■ Elsa Wolliaston in der Akademie der Künste

Sie horcht, sie wartet. Elsa Wolliaston und Jacques Bruyere, der die Djembe-Trommeln schlägt, scheinen nicht allein auf der Bühne: Ein schwer faßbares Element bestimmt ihre Suche nach Übereinstimmung. Elsa dreht sich taumelnd im Inneren des Kerzenkreises, ihr Kopf knickt rückwärts ab, sie treibt ohne Willen, richtungslos. Zwischen den weichen, offenen Händen knetet sie Luft, tastet den Raum ab, sucht Kontakt. In plötzlichen Schüben materialisiert sich eine Kraft in ihr, sie bricht aus dem dämmernden Hingegebensein aus, reißt sich hoch, schwingt gefährlich in einer Hand einen Hammer. Ihr ganzer Körper assimiliert die schnell wechselnden Rhythmen der Trommel, läßt sie in sich auf- und niedersteigen. Dann wieder fällt sie zurück, läuft sie mit flinkem Patsch, Patsch, Patsch der nackten Fußsohlen, den gebeugten Oberkörper parallel zum Erdboden schiebend und mit automatisch nickendem Kopf im Kreis: ein aufgezogenes Huhn.

Elsa Wolliaston, zum TanzWinterBerlin wieder vom Theaterhaus eingeladen, begann ihre Gastspielreihe mit „Ritual Ouverture“, einer Rückkehr zu den Quellen ihres Tanzes aus der Trance. Unbefriedigend steht dem die Armut unserer Sprachbilder gegenüber: Etwas führt in die Tanzende hinein, ein Tanzdämon ergreift Besitz von ihr. Dies klingt nach unverstandenem Voodoo, spiegelt europäische Buschmythen und verstellt den Blick auf die starke Gegenwärtigkeit und Selbstverständlichkeit des Tanzes. Wolliaston bringt in ihre Performance das Bewußtsein ein, aus der rituell eingebundenen Gemeinschaftserfahrung des afrikanischen Tanzes für fremde Augen und Ohren eine Vorstellung zu gestalten. Die Irritation der Heranführung an das Fremde mildert sie im zweiten Teil der Ouvertüre mit Komik.

Ihre Auseinandersetzung mit den musikalischen Energie -Trägern Percussion und Flöten wird zu einem grotesken Kampf. Die Tanzmächte lassen sie zappeln wie einen Fisch an der Angel oder fallen wie ein Mückenschwarm über sie her. Elsa wehrt sich, Elsa versucht sie auszutricksen und rennt doch immer wieder in deren gliederschüttelnde Gewalt. Bis sie deren mächtigen Angriffen in großen Hüpfern nachgibt, bis sie in langen kreiselnden Drehungen zu einer harmonischen und ungebrochenen Spirale gefunden hat, die die anstürmenden Energien fließend transportiert.

Katrin Bettina Müller

Bis zum 6.Dezember tritt Elsa Wolliaston mit den Musikern und Tänzern ihrer Pariser Compagnie „One Step“ in der Akademie auf, am 16./17. Dezember mit dem Saxophonisten Steve Lacy im Quartier Latin.

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