piwik no script img

Keine Experimente

■ Die Linke und die DDR

Die Revolution findet so, wie sich manche in der Bundesrepublik wünschen, in der DDR sicherlich nicht statt. Mögen Neues Forum, Demokratischer Aufbruch oder die SDP, um nur einige der Oppositionsbewegungen zu nennen, noch so attraktive und visionäre Konzeptionen für einen humanen Sozialismus, für eine gerechte Gesellschaftsstruktur entwickeln - das Volk der DDR wird sie nicht stützen, sondern eher noch bekämpfen.

Die Bevölkerung der DDR, so hoffen viele Linke, auch in der Bundesrepublik, sei noch einmal bereit, für jene Ideale einer gerechten Gesellschaft zu kämpfen oder sie zumindest zu tolerieren, die sie bisher von der SED als politische Parolen zum Überdruß vernommen haben.

Millionenfacher Hunger in der Dritten Welt, Rüstungsüberkapazitäten, ökologisches Chaos, Armut, alles Erscheinungsformen, an denen auch und gerade der Kapitalismus eine Hauptverantwortung trägt, werden als primitive Propaganda hinweggefegt werden. Man will davon nichts mehr hören. Einfache Lösungen sind gefragt, keine Experimente.

Das private Glück, mag es auch in einem Obdachlosenasyl enden, ist auf die Fahne der Freiheit geschrieben, die jetzt so kräftig geschwungen wird.

Es wird ein folgenschwerer Irrtum sein zu glauben, daß gerade in der DDR-Bevölkerung aufgeklärte Köpfe die Richtung angeben werden.

Deutschnationale Töne werden dafür immer schriller werden, und zwar eher in Deutschland-Ost denn Deutschland-West.

40 Jahre Diktatur haben doch in der DDR kein kritisches Bewußtsein gefördert oder sogar geprägt. Im Gegenteil. Es wurden autoritäre Strukturen eingepflanzt. Und das ist nun einmal kein Boden, auf dem kritisches Denken wachsen kann. Autoritäre Strukturen, Anpassung und Unterordnung, haben noch nie viel Positives gefördert, was die Fortentwicklung elementarer demokratischer Werte angeht. Die Entpolitisierung wird das Ergebnis der bisherigen autoritären Strukturen in der DDR sein, mag sie jetzt noch, im berechtigten Haß gegen die Staatsführung, als politisches Erwachen interpretiert werden.

An Ideale, politische Visionen glaubt niemand mehr, zu groß ist die Enttäuschung über das, was man bisher erlebt hat. Keine Experimente - in der Adenauerzeit eine erfolgreiche Wahlkampfparole - in der DDR wird es keine politischen und gesellschaftlichen Experimente mehr geben. Ruhe, Ordnung, Sauberkeit und Fremdenfeindlichkeit, die urdeutschen Tugenden, werden in der DDR eine Blütezeit erleben.

Trotzdem leisten wir uns immer noch die Hoffnung, daß jahrzehntelange Unterdrückung das Wort Freiheit plötzlich mit politischen visionen eines demokratischen Sozialismus füllen würde.

Da haben die Redner der CDU schon recht, wenn sie sagen, daß der Sozialismus, auf jeden Fall in der DDR zu Ende sei. Wir mögen noch soviel dagegen halten, dialektisch klug argumentieren, daß das, was im Osten geschehen ist, ja gar nichts mit sozialistischen Idealen zu tun hatte - der marktschreierische Populismus eines geeinten Deutschland wird differenziertes Denken über politische Alternativen zum herrschenden System der Marktwirtschaft, als intellektuelles Gesabbere zum Schweigen bringen.

Wenn jetzt die „Republikaner“ oder die CSU in der DDR zur Wahl stünden - dann wäre ihnen der Wahlsieg, so fürchte ich, sicher. Während die bundesdeutsche Linke zur Umgestaltung in der DDR schweigt, weil sie wohl wenig Neues zu sagen hat, zumal auch die SPD noch bis vor wenigen Monaten mit denen am Tisch politische Programme entwickelte, die heute als Verbrecher gehandelt werden, triumphieren die Rechten.

Was jetzt noch zaghaft in der DDR zu vernehmen ist, des Volkes Zorn, der sich derzeit gegen die SED richtet, der wird sich in den nächsten Wochen gegen jene richten, die heute noch für einen menschlichen und demokratischen Sozialismus streiten. Der wird nicht in der DDR erkämpft werden, sondern - wenn überhaupt - in der Bundesrepublik.

Jürgen Roth

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen