: Künstliche Finanzkrise bei der Bundesbahn
Der Schuldenberg des umweltfreundlichsten Verkehrsmittels wächst und wächst / Zinsbelastung sprengt Bahnetat / Arbeitsplatzvernichtung wird fortgesetzt / Rückgang beim Güterverkehr erwartet / Übernimmt Bonn die Verkehrswegekosten? ■ Von Florian Marten
Während gestern nachmittag die Bundestagsmikrofone bei der Debatte über die Zukunft der Deutschen Bundesbahn (DB) heißliefen, bereiteten sich der DB-Vorstand und eine Regierungskommission auf ein Treffen am morgigen Freitag vor, bei dem es ganz konkret um die Zukunft der Bahn geht.
Anlaß des Treffens ist ein 250seitiger Bericht des DB -Vorstandes über die Finanzperspektiven der DB an eine Regierungskommission unter Führung des Ex-Preussag-Chefs Günter Saßmannshausen, die Vorschläge zur Reform der Bahnfinanzen erarbeiten soll. Die Aussagen der Bundesbahnmanager sind dramatisch:
Bis zum Jahr 2000 soll der gegenwärtige Altschuldenberg der Bundesbahn von gegenwärtig 53 auf 72 Milliarden Mark steigen. Das aktuelle Jahresdefizit soll von heute knapp vier auf 7,6 Milliarden Mark klettern. Die Ursachen brachte der Verkehrsexperte Winfried Wolf, Autor der Bücher Eisenbahn und Autowahn auf den Dreisatz: „Kaum steigende Einnahmen plus real rückläufige Investitionen sind die betriebswirtschaftlich logische Pleite.“
Schon heute erreichen die jährlichen Zinslasten der Bahn in Höhe von über drei Milliarden Mark fast das Niveau des Jahresdefizits. Anders als alle übrigen Verkehrsträger muß die Bundesbahn die Kosten ihres Wegenetzes selbst tragen und finanzieren. Die Fahrwegekosten von derzeit 7,6 Milliarden Mark pro Jahr sollen sich bis zum Jahr 2000 auf astronomische 12,4 Milliarden Mark erhöhen. Grund dafür sind die umfangreichen Neubaustrecken, vor allem aber auch der „Instandhaltungs- und Investitionsstau“, die jahrzehntelange Vernachlässigung großer Teile des DB-Netzes, die zum Vormarsch des Autoverkehrs beiträgt.
In der Tat wird die Bahn wie kein anderer Verkehrsträger finanziell benachteiligt: Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) trägt die Bundesbahn insgesamt 66 Prozent ihrer direkten Verkehrskosten (Subvention: 34 Prozent), der Güter-Lkw 62 Prozent (Subvention: 38 Prozent), die Binnenschiffahrt sechs Prozent (Subvention 94 Prozent. Andere Untersuchungen kommen auf weit schlechtere Werte für den Lkw: So decken ausländische Lkw nur vier Prozent ihrer Wegekosten in der BRD, und Eisenbahngewerkschafter Haar bezifferte die Kostendeckung des Lkw-Güterverkehrs kürzlich auf gerade noch 37 Prozent. Bezieht man die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten mit ein (Umweltverseuchung, Lärmbelastung, Landschaftsverbrauch, Energieverbrauch), liegt der Schienenverkehr ganz allein im Plus: Die Höhe der Subventionen wird durch die Umweltschonung (im Vergleich zum Auto) mehrfach kompensiert.
Die falsch gestrickte Finanzkonstruktion der Bahn soll, so der Bundesbahnvorstand, durch eine Übernahme der Verkehrswegekosten durch den Bund reformiert werden. Die von der Bundesregierung bereits beschlossene Übernahme von 12,6 Milliarden Mark Altschulden im Haushaltsjahr 1991 reiche nicht aus. Nach den Vorstellungen des Vorstandes soll der Bund die Kosten des Schienennetzes übernehmen und für die Nutzung Gebühren verlangen - so, wie es der Straßenverkehr indirekt über die Mineralölsteuer tut.
Dieser Schritt, den Verkehrsexperten seit langem fordern, könnte die Bahn tatsächlich viel vernünftiger kalkulieren lassen: Bezahlt würde nach dem Umfang der Nutzung, der Druck, zu wenig genutzte Strecken stillzulegen, verschwände. Schließlich werden gering genutzte Straßen ja auch nicht abgerissen. Richtig Sinn machte diese Neuerung allerdings nur, wenn der Bund auch die Altschulden übernähme und kräftig in den jahrzehntelang vernachlässigten Schienenverkehr, auch in der Fläche, investierte.
Rückgang des Güterverkehrs
trotz Euro-Boom
Denn: Noch immer plant der DB-Vorstand ein weiteres „Krankschrumpfen“ (Winfried Wolf). So sollen im Güterbereich weitere 20 Prozent der Arbeitsplätze vernichtet werden, im Personennahverkehr 15 bis 22 Prozent und im expandierenden Fernverkehr drei Prozent. Trotz der EG-weiten Forderung nach Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und dem drohenden Verkehrsboom im EG-Binnenmarkt fürchtet der DB -Vorstand einen Rückgang des Schienengüterverkehrs in den kommenden zehn Jahren um fast 20 Prozent auf nur noch 230 Millionen Tonnen jährlich.
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