: „Die Regierung kann nicht mehr lange durchhalten“
Ana Guadalupe Martinez ist in der Politisch-Diplomatischen Kommission der salvadorianischen FMLN / Die Zeit sei reif für eine Konsensregierung ■ I N T E R V I E W
taz: Seit drei Wochen greift die FMLN in San Salvador an. Wie soll die Offensive weitergehen?
Ana Guadalupe Martinez: Sie wird nicht unbedingt dieselben Formen haben wie am Anfang. Unsere Kräfte bleiben aktiv und zwingen die Armee zu reagieren. Die Streitkräfte können in San Salvador keine Positionen aufgeben, wenn sie unliebsame Überraschungen vermeiden wollen. Denn sie wissen, daß die FMLN weitgehend unbeschädigt aus den Kämpfen hervorgegangen ist. Die meisten Toten waren Zivilisten.
Wie lange wollt und könnt ihr diesen militärischen Druck aufrechterhalten?
Mittelfristig werden weder die Arena-Regierung noch die Armee die Situation in den Städten stabilisieren können. Dazu kommen die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten und natürlich die internationale Isolierung, zum Beispiel durch den Druck des Auslands, die Jesuitenmorde aufzuklären. Militärisch kann die Armee keine klaren Siege vorweisen. Die Massenmorde und die Zerschlagung der zivilen Opposition und der kirchlichen Aktivitäten haben bereits enorme politische Kosten verursacht. Wir kombinieren also die Politik mit der militärischen Aktion und glauben, daß die Sache in ein bis zwei Monaten für die Regierung untragbar wird.
Inwieweit sind die militärischen Ziele der Offensive erreicht worden?
Das wichtigste militärische Ziel war es, den Krieg in die Städte zu tragen. Das haben wir erreicht. Die Armee kann jetzt nicht mehr behaupten, daß die FMLN ein versprengter Haufen ohne Kampfkraft ist, der sich in den Bergen versteckt. Auch politisch haben wir das Wesentliche erreicht: nämlich aller Welt vorzuführen, was für ein Regime in El Salvador herrscht. Es ist jetzt klar, daß eine Militärregierung mit einem zivilen Sprachrohr an der Macht ist, da Cristiani sich in seinen Pressekonferenzen darauf beschränkt, die Mitteilungen der Armee weiterzugeben.
In einem Kommunique bestätigt die FMLN, daß sie Boden-Luft -Raketen hat. Warum sind die bisher nicht eingesetzt worden?
Aus rein militärischen Überlegungen: Wir glauben, daß der geeignete Moment für ihren Einsatz erst kommen wird.
Als Konsequenz der Offensive hat die Armee ihre inneren Widersprüche hintangestellt und gibt sich heute besonders geeint. Gleichzeitig sind die Militärs heute noch weniger offen für eine politische Lösung als beim letzten Dialog. Wie stellt ihr euch vor, daß es unter diesen Umständen zu Verhandlungen kommen kann?
Wenn etwas immer härter wird, fällt es am Ende leichter um. - Was in den sozialistischen Ländern vor sich geht, ist von den salvadorianischen Militärs als Beweis für ihre These gefeiert worden, daß es für den bewaffneten Kampf der FMLN keine politische Rechtfertigung gibt. Wir behaupten das Gegenteil: Auch hier muß es demokratische Umwälzungen geben, wenn überall auf der Welt demokratische Freiräume geöffnet werden. Das Land ist wie ein Anachronismus, der den USA und Europa Sorgen bereitet.
Besteht die Gefahr, daß eine bedrängte Ultrarechte hemmungsloser zuschlägt?
Ich glaube, das passiert bereits, und das kann nicht mehr lange so weitergehen, denn die Kampfkraft der FMLN ist intakt geblieben. Mit ihrer irrationalen Brutalität beschleunigt die Rechte den Prozeß ihrer Isolierung. Und ohne ausländische Hilfe kann diese Regierung nicht lange durchhalten. Wir glauben daher, daß die Aussichten für eine politische Lösung jetzt besser sind.
Wenn es wieder zu Verhandlungen kommt: Bleibt die FMLN bei ihrem Vorschlag von San Jose, also der Forderung nach Säuberung der Armee, Reform des Justizapparates und vorgezogenen Wahlen mit der FMLN als politische Partei? Oder wollt ihr jetzt mehr?
Die bilateralen Gespräche zwischen Regierung und FMLN vermittelten den Eindruck, daß es nur zwei Optionen gibt: das Projekt der Rechten oder das marxistisch-leninistische. So kann man die Nation nicht einen. Daher glauben wir, daß der Zeitpunkt gekommen ist, ein Konsensprojekt und eine Konsensregierung zu suchen. Dafür brauchen wir einen wesentlich breiteren Verhandlungstisch, an dem die Oppositionsparteien, die sozialen Kräfte, die FMLN, die Regierung und die Armee Platz nehmen. Was den Inhalt betrifft, würden wir unser Paket von San Jose wieder einbringen. Wir wollen das Land nicht in einer Situation der Instabilität und Krise halten. Wenn die Armee im Januar auf unser Friedensangebot eingegangen wäre, hätten wir heute bereits ein befriedetes Land.
Interview: Ralf Leonhard
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