„Wir leben alle in einem europäischen Dorf“

Am Prinzip „Geld gegen Reformen“ hat sich nichts geändert  ■ I N T E R V I E W

Frans Andriessen, der für die Beziehungen zu Drittländern zuständige EG-Kommissar, sondierte die Bedingungen für den Abschluß eines Handels- und Kooperationsabkommens mit der DDR.

taz: Herr Andriessen, Sie haben hier in der DDR über den Abschluß eines Handels- und Kooperationsabkommens gesprochen. Auf dem EG-Sondergipfel in Paris hieß es ja noch: Ohne Reformen kein Geld und auch kein Handelsabkommen. Sind Ihrer Meinung nach die Reformschritte in der DDR jetzt so weit fortgeschritten, daß die EG den Geldbeutel aufmacht?

Andriessen: Ein Wort habe ich während meines Besuches in der DDR oft gehört. Es ist das Wort „Unumkehrbarkeit“. Ich persönlich bin überzeugt, daß die Veränderungen in der DDR eine Stufe erreicht haben, auf der sie nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die Entwicklung in der DDR geht in dieselbe Richtung wie in Polen und Ungarn. Man ist hier noch nicht soweit.

Wann rollen die ersten ECU nach Ost-Berlin?

Über Geld habe ich nicht direkt geredet. Ich habe über ein Handels- und Kooperationsabkommen gesprochen. Weitere Schritte sind möglich. Die EG sollte jetzt einen umfassenden Vorschlag für Verhandlungen machen über Handel und wirtschaftliche Kooperation.

Wie wird Ihr Vorschlag aussehen? Werden Sie die Hilfsmaßnahmen für Polen und Ungarn als Modell nehmen?

Für Polen und Ungarn haben wir Kooperationsabkommen geschlossen. Und wegen der besonderen Lage dieser Länder haben wir darüber hinaus noch ein spezielles Hilfsprogramm vereinbart. Über ein solches Programm reden wir heute mit der DDR noch nicht. Die DDR hat auch noch nicht danach gefragt.

Auf den großen Demonstrationen in der DDR tauchen immer mehr Transparente auf, die „Wiedervereinigung“ fordern und eine engere Anbindung an die EG. Was hält die EG-Kommission davon?

Wir glauben, daß die Frage der Wiedervereinigung zunächst einmal eine Sache ist, die man hier in der DDR zu entscheiden hat. Aber die Lösung der deutschen Frage, wie man das hier nennt, ist auch eine europäische Angelegenheit und sollte sich in irgendeiner Weise in eine europäisch akzeptable Situation einbetten. Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich habe da auch keine klare Vorstellung, aber zwei Dinge sind wichtig: Souveränität der DDR und Einbettung in eine europäische Ordnung.

Überhaupt leben wir alle zusammen in einem europäischen Dorf mit mehreren Häusern. In diesem Dorf sind neue Strukturen denkbar und erforderlich. EG und EFTA etwa sind dabei, einen künftigen europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen. Endgültige Strukturen für Europa sind das jedoch auch nicht.

Was ist mit dem Sonderstatus der DDR beim Abschluß eines Handels- und Kooperationsabkommens?

Am innerdeutschen Handel ändert sich nichts. Hinzu kämen durch das Abkommen für die DDR mehr Möglichkeiten, auf unserem Markt Produkte zu verkaufen. Wenn die wirtschaftliche Kooperation gelingt, die nichts mit dem innerdeutschen Handel zu tun hat, dann entstünden direkte Beziehungen zwischen der EG als solche und der DDR.

Sind freie Wahlen Voraussetzung?

Ich habe von der Unumkehrbarkeit des Reformprozesses in der DDR gesprochen. Natürlich, ein Termin für freie Wahlen wäre so etwas wie eine formelle Garantie für die Unumkehrbarkeit.

Interview: Beatrix Bursig