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Opposition in Konfusion

Die Auflösungstendenzen der SED, die mit dem Rücktritt der Parteiführung am Wochenende einen neuen Höhepunkt erreichten, beleuchten zugleich die Krise der Opposition. Die schwindende Widerstandskraft der Partei und die Offenheit des Reformprozesses machen deutlich, daß auch die Opposition das politische Vakuum nicht ausfüllen kann. Der vehemente Umbruch hat die Probleme, mit denen sie sich vor der Wende herumschlagen mußte, nicht gelöst, allenfalls verdeckt. Organisatorische Zersplitterung, programmatische Schwäche und Handlungsunfähigkeit angesichts der rapiden Veränderung prägen spätestens seit der Öffnung der Grenzen wieder das Erscheinungsbild der Opposition. Seit die Wände eingerissen wurden, an denen sich die Opposition jahrelang die Köpfe einrannte - Reisefreiheit, Führungsanspruch, Machtmonopol und alte Garde - machen sich Überforderung und Desorientierung breit.

Eine konsensfähige Reformperspektive ist nicht in Sicht; es fehlen legitimierte Sprecher und koordiniertes Vorgehen. „Sachkompetenz einfangen“ heißt seit Wochen die Devise, mit der man die inhaltlichen Defizite beheben und dem rapide gewachsenen Einfluß gerecht werden will. Insbesondere im Hinblick auf die ökonomische Sanierung des Landes kommen die Gruppen über Allgemeinplätze kaum hinaus. Die Kontakte zu wissenschaftlichen Institutionen sind traditionsgemäß unterentwickelt. Die politischen Reformvorstellungen bislang alleinige Domäne der Opposition - definierten sich vor der Wende hauptsächlich über die Ablehnung des bestehenden Herrschaftsgefüges. Vom „demokratischen Dschungel“ ist in Oppositionskreisen die Rede, wenn nach den Unterschieden der neuen Organisationen gefragt wird. Ihr Profil ist noch immer so unscharf, daß sich die Eigenständigkeit der einzelnen Gruppen mit inhaltlichen Differenzen nur schwer erklären läßt. Alle zielen bislang noch auf eine demokratische Sozialismusvariante und sind sich vor allem darin uneins, ob man das nach 40 Jahren realem Sozialismus auch noch immer so nennen sollte. Es geht um demokratische Kontrolle, Verhinderung ökonomischer und politischer Machtkonzentration, Herausbildung einer „gemischten Wirtschaft“ mit sozialer und ökologischer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber den unterentwickelten Ländern.

War noch vor wenigen Wochen eine programmatische Differenzierung der Gruppen absehbar, so hat die jüngste Entwicklung die Konfusion eher weiter befördert. Täglich wachsen mit dem rapiden Zerfall der alten Strukturen neue Probleme, auf die es keine schnellen, konsensfähigen Antworten gibt: der „drohende Ausverkauf des Landes“, den die lange geforderte Reisefreiheit heraufbeschwört; der gesellschaftliche Stimmungsumschwung in Richtung „Wiedervereinigung„; der Niedergang des jahrelangen Gegners, der das oppositionelle Selbstverständnis grundlegend in Frage stellt.

Partei versus

Basisorganisation

Inflationäre, unkoordinierte Vorstöße, die oft auch innerhalb der jeweiligen Gruppen nicht konsensfähig sind, prägen noch immer den oppositionellen Alltag. Jüngste Beispiele: der Aufruf zum Generalstreik von Mitgliedern des Neuen Forums in Karl-Marx-Stadt oder der Vorschlag eines Volksentscheides über Kohls Konföderationsprogramm. Während die rapide Entwicklung den Gruppen kaum Zeit für inhaltliche Arbeit läßt, absorbiert die Strukturdebatte innnerhalb der Gruppen weitere Energien. Organisationsprobleme lähmen vor allem das Neue Forum, das mit seinem Dialogaufruf auf dem Höhepunkt der Ausreisekrise nicht die erwarteten 5.000, sondern 200.000 Unterstützer fand. Seitdem müht sich die größte Oppositionsinitiative um arbeitsfähige Strukturen, die den gesellschaftlichen Einfluß in politische Handlungsfähigkeit umsetzen sollen. Doch die Vorstellungen gehen weit auseinander: Die einen setzen im Interesse „schlagkräftiger Strukturen“ auf Parteigründung, die Mehrheit favorisiert noch immer eine basisdemokratische Initiative. Doch das Mißtrauen gegenüber zentralen Strukturen und persönlichem Einfluß sowie die Autonomiebestrebungen regionaler Gliederungen verhindern bislang, daß der gewählte Landessprecherrat seine Funktion auch wahrnehmen kann. Es wird wohl noch einiger interner Debatten bedürfen - so der Mitinitiator des Neuen Forums Jens Reich -, bis klar ist, „daß nicht jemand aus Klingenthal im Namen des Forums den Generalstreik ausrufen kann“. Doch die Mühen der Basisdemokratie, die durch die noch immer katastrophalen Arbeitsbedingungen potenziert werden, schrecken das Forum nicht, auch das ausstehende Programm soll „von der Basis her erarbeitet werden“.

Auf eine neue politische Kultur zielt auch die Arbeit der Initiative Demokratie jetzt, die sich ähnlich wie das Forum in erster Linie als Initiator eines gesellschaftlichen Diskussions- und Willensbildungsprozesses versteht. Die Reichweite der Gruppe, die mit einem explizit sozialistischen Programmentwurf an die Öffentlichkeit ging, ist jedoch begrenzt, so daß die Gründungsmitglieder noch immer als strukturierendes Gremium fungieren können. Am elegantesten haben die DDR-Grünen den Konflikt Partei/Basisbewegung gelöst: Der „politische Flügel“ organisierte sich als „Grüne Partei“, die ökologischen Initiativen schlossen sich zu einer „Grünen Liga“ zusammen.

Klare verbindliche Organisationsstrukturen haben sich die Sozialdemokraten und der Demokratische Aufbruch zugelegt. Nur wenn sich die Opposition handlungsfähig organisiert - so ihr Credo - kann sie den alten Machtstrukturen etwas entgegensetzen. „Nicht die alten Bonzen durch neue ersetzen“, kontern diejenigen, die eine Dominanz der Gruppen durch Einzelpersonen befürchten. Der Demokratische Aufbruch hat da schon schon seinen ersten Präzedenzfall: den publicityträchtigen, in der Gruppe aber nicht abgestimmten Kohl-Besuch des Vorsitzenden Schnur und des Sprechers Eppelmann. Es gab Proteste und Austritte.

Doch die neuen „Vollblutpolitiker“, die die Einflußlosigkeit der locker organisierten Vor-Wende -Opposition in Erinnerung haben, lassen sich nicht irritieren: „Wer in den letzten Jahren in der Opposition war, muß jetzt auch bereit sein, politische Verantwortung zu übernehmen“, pointiert SDP-Geschäftsführer Böhme den Konflikt. Die könnte mit dem runden Tisch schneller auf die Opposition zukommen, als ihr nach dem derzeitigen Diskussionsstand lieb sein kann.

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