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„In dieser schnellebigen Zeit müssen wir uns umstellen“

■ Besuch aus Rostock beim Bremer Vulkan / Betriebsratsvorsitzender der Warnow-Werft im taz-Interview

Heute abend findet in der Arbeiterkammer in Bremen-Nord, in der Lindenstraße 8, eine Diskussion mit der Betriebsgewerkschaftsleitung der Rostocker Warnow-Werft, der größsten und rentabelsten in der DDR, statt. Thema: Die neue Identität der DDR-Gewerkschaften. Veranstaltet wird die Diskussion von der IG Metall und der Akademie für Arbeit und Politik, die als Referenten den Warnow-Betrieb

gewerkschaftsleiter (Betriebsratsvorsitzenden), Hermann Meth, und den Rohrschlosser und Abteilungs -Gewerkschaftsleiter Gerold Winkler eingeladen haben. Weiteres Thema: Wie läßt sich eine Zusammenarbeit zwischen der Warnow-Werft und dem Bremer Vulkan organisieren. Die taz sprach mit den DDR-Gewerkschaftern.

Wir erfahren hier wenig über das, was sich in den Betrieben der DDR ändert. Was hat sich bei der Warnow-Werft getan?

Hermann Meth:Unser Betrieb hat 6.200 Beschäftigte, davon sind nur 45 Kollegen nicht im FDGB. Ungefähr 1.400 Beschäftigte waren in der Partei. Wir müssen sagen, daß im Zusammenhang mit der führenden Rolle der Partei, die Kraft des FDGB nie so zur Geltung kam. Die Eigenständigkeit war nicht da. Jetzt muß die Gewerkschaft von Grund auf neugestaltet werden. Wir haben deshalb in unserem Betrieb Neuwahlen einberufen.

Was steht da zur Wahl?

Es stehen die Leitungsebenen zur Wahl, also die Vertrauensleute, die Abteilungsgewerkschaftsleitungen und die Betriebsgewerkschaftsleitung.

Und die Kollegen, die zur Wahl stehen, sind alle im FDGB?

Die sind alle im FDGB.

Bahnt sich noch keine konkurrierende Gewerkschaft an?

Noch nicht.

Ob die SED als Partei überlebt, ist zweifelhaft.Wie ist das mit dem FDGB?

Bei uns im Betrieb legen täglich hunderte von Genossen das Parteibuch hin. Die SED als Partei ist von ihren Führungsorganen auf's Spiel gesetzt worden, und ich glaube, sie ist verloren. Zumindest in den Betrieben.

Das trifft für den FDGB nicht zu?

Nein. Wir sind auch bitter enttäuscht und zornig, daß unsere führenden Genossen und Kollegen, ich spreche von Herrn Harry Tisch, auch so in diesen Strudel verstrickt sind. Aber die Gewerkschaft, davon bin ich überzeugt, ist im Betrieb auf keinen Fall verloren.

Wie wird sich die Arbeit inhaltlich verändern?

Unsere Arbeit wird sich zukünftig vor allem auf Tarifprobleme und die Fragen der Arbeits-und Lebensbedingungen bis hin zu Umweltfragen konzentrieren.

Wer ist der Gesprächspartner für den FDGB?

Eindeutig die staatliche Leitung.

In Gestalt von wem?

Bei uns geht es in Richtung Eigenverantwortlichkeit der Betriebe bis hin zu den Abschlüssen von Aufträgen. Das verlangt ja, daß unser Betriebsdirektor der Partner ist.

Ist es im Betrieb unstrittig, daß die Eigentumsverhältnisse so bleiben, wie sind? Oder wird über Entstaatlichung diskutiert?

Die Eigentumsverhältnisse, da kann ich nicht vorausgreifen. Verstehen Sie das bitte. Es gibt soviel an Problemen. Da jetzt schon Fragen oder Wünsche zu äußern...

Also ist der FDGB in diesem doch zentralen Punkt ziemlich ratlos?

Ratlos nicht, aber wir sind darauf gefaßt, daß der Inhalt der Arbeit ein ganz anderer sein wird. Die Zeit ist so schnellebig. Da müssen wir uns umstellen.

In welcher Partei hat ein Mitglied des FDGB jetzt seine politische Heimat?

In keiner mehr. Das ist vorbei.

Ohne Mitglied in der SED zu sein, wären Sie nie Betriebsratsvorsitzender geworden?

So ist es.

Und sind sie immer noch Mitglied der SED?

Ja, zur Zeit immer noch. Ich bin aber aus allen Leitungen, die die SED so im Betrieb innehat, ausgeschieden, schon vor vier, fünf Wochen. Das hat auch zwei Seiten. Einige sagen: 'Das ist prima.‘ Und andere sagen: 'Du bist ein Wendehals.‘

Interview: hbk/anh

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