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Arbeitsamt muß löhnen

■ Bremer Urteil mit Signalwirkung für die Bundesrepublik / Arbeitsloser muß nicht seinen Sohn verklagen

Wer Arbeitslosenhilfe (Alhi) beantragt, muß qua Gesetz zunächst die Geldbeutel seiner nächsten Verwandten schröpfen. Verdient die Geehelichte oder der Sohnemann genug, verweigert die Bundesanstalt Alhi für Gatten oder Vater. „Unterhaltsansprüche nach bürgerlichem Recht“ heißt diese Umlage der Arbeitslosenkosten offiziell und wird in einer „Bedürftigkeitsprüfung“ festgestellt. Nur: Wer nicht bereit ist, wirklich jeden Job überall in der Bundesrepublik zu übernehmen, bekommt auch dann kein Geld. Nach dem entsprechenden Gesetz vom 8. Juli 1989 (als Paragraph 137.1 a AFG) hat jetzt erstmals ein Bremer Gericht diese Rechtslage als potentiell verfassungswidrig eingestuft. In einer einstweiligen Anordnung verurteilte Sozialrichter Masuch das Arbeitsamt, dem Kaufmann Jürgen P. (51) unverzüglich Alhi in voller Höhe zu zahlen, obwohl dieser auf dem Zumutbarkeitsanspruch bei einer künftigen Arbeit besteht.

P. begründete seine Klage mit einem Verstoß gegen den Gleich

heitsgrundsatz. Arbeitslose ohne Angehörige haben Anspruch auf den Zumutbarkeitsmaßstab, Arbeitslose mit Angehörigen nicht. Wenn es nach dem Arbeitsamt gegangen wäre, hätte P. anstelle von Alhi nämlich seinen 27jährigen Sohn auf Unterhalt verklagen sollen. Der hätte dem arbeitslosen Vater nur nachweisen müssen, daß in München ein Job als Kloputzer frei gewesen wäre, um den Unterhalt rechtlich abschmettern zu können. Doch P. weigerte sich gleich bei Antragstellung, die „Bedürftigkeitserklärung“ des Arbeitsamtes zu unterschreiben. Folge: Seit dem 3. Oktober bezog P. keinen Pfennig Alhi mehr.

Die Bundesregierung hatte diese Rechtspraxis als Gesetz installieren müssen, weil das Bundessozialgericht im Septeber letzten Jahres eine gleichlautende Verordnung abgeschmettert hatte. Der Rechtsvollzug geschah lautlos und unter falscher Etikette. Offiziell ging die Änderung des AFG in der „Anpassung der Kriegsopferversorgung“ unter. Die Heimlichkeit war kalkuliert: Im Bremer Urteil begründete der

Sozialrichter seine Entscheidung mit den geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken, die im 137.1 a AFG verankert sind: Ein klarer Fall für Karlsruhe. Paradoxerweise sind die verfassungsrechtlichen Bedenken expressis verbis vom Gesetzgeber kalkuliert. In der Diskussionsphase zum Gesetzentwurf wurden sie vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages als „nicht durchgreifend“ angesehen, „wenn sie am 31.12.1991 außer Kraft treten“. Mit anderen Worten: Wenn das Bundesverfassungsgericht das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit abklopft, gilt es bereits nicht mehr, weil das Karlruher Urteil erst in fünf Jahren erwartet wird. 400 Millionen Mark will der Gesetzgeber so jedes Jahr einsparen.

Der Bremer Rechtsanwalt Bernd Rasehorn spricht über das Bremer Urteil von einer „Signalwirkung“ für die Arbeitslosen und die weiter befaßten Gerichte. „Damit ist dem Versuch der Bundesregierung, unterschiedliche Klassen von Arbeitslosen zu schaffen, ein erster Dämpfer er

teilt. Die Abwälzung der Kosten der Arbeitslosigkeit auf Familie und Sozialämter kann gestoppt werden.“ Beifall fand das Urteil auch bei den OrganisatorInnen der Arbeitslosenberatung: „Wir sind froh, daß endlich jemand das Standvermögen bewiesen hat, ge

gen diese Rechtspraxis zu klagen,“ freute sich gestern Bernd Korten vom Arbeitslosenzentrum Tenever. Die erfolgreiche Klage P's könnte unter den betroffenen Arbeitslosen Schule machen. Markus Daschne

Aktenzeichen S 9 H 275/89

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