: Ost-Schalck bevorzugt West-Haft
■ Der berüchtigte DDR-Devisenbeschaffer stellt sich Westberliner Behörden und will auf keinen Fall in die DDR zurück
Berlin (taz) - Der international gesuchte Chefdevisenbeschaffer der DDR, Alexander Schalck -Golodkowski, sitzt in West-Berlin in Untersuchungshaft. Der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht in West-Berlin, Dietrich Schulz, genehmigte gestern einen Haftbefehl, in dem die Ostberliner Strafverfolgungsbehörden dem Ex-DDR-Manager „Untreue zum Nachteil sozialistischen Eigentums in schwerem Fall“ vorwerfen. Gegen das Waffenhandels-Unternehmen IMES ist inzwischen von DDR-Unternehmen ein Lieferstopp verhängt worden.
Generalstaatsanwalt Schulz will über eine mögliche Auslieferung Schalck-Golodkowskis an die DDR-Behörden bis zum Ende des Jahres entscheiden. Er schloß nicht aus, daß Schalck-Golodkowski zu einem späteren Zeitpunkt auf freien Fuß gesetzt werden könnte.
Der untreue Staatssekretär hatte sich am Mittwoch nacht in Begleitung eines Anwaltes freiwillig der Westberliner Justizvollzugsanstalt Moabit gestellt. Zu den Vorwürfen der Veruntreuung ließ Schalck-Golodkowski am Mittwoch abend über seinen Westberliner Anwalt Danckert mitteilen: „Ich habe heute sämtliche mir zugängliche Konten in der Schweiz auflösen lassen. Es ist von mir veranlaßt worden, daß der Gegenwert schnellstens auf ein Konto der Außenhandelsbank der DDR transferiert wird.“ Den Betrag der Überweisung bezifferte er mit 60 Millionen D-Mark. Über weitere Konten im Ausland oder Wertgegenstände - einschließlich Edelmetalle - habe er keine Kontrolle ausgeübt, versicherte er weiter. In seiner Erklärung betonte er, daß er unter keinen Umständen in die DDR zurück wolle und alle Rechtsmittel ausschöpfen werde, um eine „Zulieferung“ in die DDR zu verhindern.
Bereits am Mittwoch nachmittag war vom Ostberliner Stadtbezirksgericht Mitte ein Haftbefehl gegen Schalck -Golodkowski an die Westberliner Justizbehörden übermittelt worden. Über eine mögliche Auslieferung an die DDR hatten gestern DDR-Juristen mit ihren Westberliner Kollegen beraten. Offiziell würde der Beschuldigte an die DDR „zugeliefert“ werden. Weil in den bundesdeutschen Rechtsvorschriften die Souveränität der DDR nicht anerkannt wird, heißt „Auslieferung“ dann „Zulieferung“. Der Ostberliner Anwalt Vogel, der im Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre kurzzeitig in Ost-Berlin festgenommen wurde, legte gestern sein Mandat für Schalck-Golodkowski nieder.
Schalck-Golodkowskis Vertreter Manfred Seidel wurde nach einer Meldung der DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘ bereits am Mittwoch abend in Ost-Berlin festgenommen. Zusammen mit dem Chefdevisenbeschaffer hatte er den Bereich „Kommerzielle Koordinierung“ geleitet. Er steht nach den bisherigen Ermittlungen im Verdacht, auf Veranlassung und im Zusammenwirken mit seinem Chef 200 Millionen D-Mark ins Ausland geschafft und damit der DDR-Volkswirtschaft entzogen zu haben.
Den Selbstmord eines Untersuchungshäftlings in Ost-Berlin am Mittwoch brachte 'adn‘ auch in Zusammenhang mit den dubiosen Machenschaften des Devisenbeschaffers. Am Montag abend war ein Mann vor dem Ostberliner Haus der Elektroindustrie von aufgebrachten Bürgern der Volkspolizei übergeben worden, nachdem er bei einer gemeinsamen Kontrolle von Volkspolizei und Neuem Forum zu flüchten versucht hatte. In zwei Koffern, die er bei sich hatte, sollen über 100.000 DDR-Mark und etwa eine halbe Million D-Mark gewesen sein. 'adn‘ zufolge war das Geld für eine Scheinfirma bestimmt, die in die Affäre um den früheren Staatssekretär Schalck -Golodkowski verstrickt ist. (Siehe auch Berlin-Teil)
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