...und raus bist du!

Karl-Marx-Stadt gewährte im Ernst-Thälmann-Stadion einen letzten Blick auf den authentischen DDR-Fußball  ■  P R E S S - S C H L A G

Derzeit ist vielen vieles historisch, was ihnen eigentlich nur unverständlich ist, doch wenn etwas wirklich Historisches abläuft, schauen sie nach Bremen, Köln und Porto. Auch die Kicker von Juventus Turin hakten die Sache ab wie eines dieser Cupspiele gegen unbekannte und gleichwohl unbequeme Gegner. Gewonnen, o.k., und sofort den Blick in den Lostopf geworfen, was sich da an lukrativen Gegnern tummelt.

Dabei bot dieser Mittwoch letztmalig Gelegenheit, wirklich authentischen Fußball aus dem vormals realsozialistischen Deutschland auf internationaler Bühne zu begutachten: in Karl-Marx-Stadt.

Auch bei den Kickern wird nichts mehr so sein, wie es einmal war: DFV und DFB beraten schon über die Modalitäten von Transfers; Bayer Leverkusen geht nicht nur Chemie Halle um Spieler an; Lemkes Willi soll die Vermarktung in der DDR sozialdemokratisieren; Dynamo Berlin will seinen Namen und damit das Image des Stasi-Vereins loswerden; und einige Klubs wird es vielleicht gar nicht mehr geben, weil ihre Betriebe sie nicht wie bisher aus dem Kulturfonds finanzieren wollen; Trainer und Spieler aus dem Ausland sind fortan erwünscht.

Ob dann, wenn es im Sommer 1990 in die nächste Runde des Europapokals geht, einer wie das Karl-Marx-Städter Talent Rico Steinmann nicht längst im Westen spielt? Er wird keinen Taschenrechner brauchen, um zu überschlagen, daß die Siegprämie der Bremer für den Neapel-Coup (21.000 DM) beim derzeitigen Kurs dem Gehalt entspricht, das er sich mühsam in 10 (ja, zehn) Jahren zusammenkicken müßte.

Und wer weiß denn, da alles so schnell geht, was auf dem Loszettel stehen wird? Immer noch Karl-Marx-Stadt oder wieder Chemnitz? Und gespielt wird dann im Richard-von Weizsäcker-Sportpark, statt, wie bislang, im Ernst-Thälmann -Stadion?

Dabei waren Spielverlauf und Ergebnis durchaus gewöhnlich. Beim 2:1-Erfolg in Turin hatten die Italiener Glück, und der DDR-Fußball konnte zwei Wochen vom Undenkbaren träumen. Doch nach 20 Minuten trat de Agostini einen Freistoß ins Netz, das war's. Aufgelegt hatte Sawarow, zugeguckt Alejnikow, aber daß sowjetische Nationalspieler in ausländischen Trikots kicken, ist längst der Normalfall.

Für den Abgang des letzten DDR-Vereins vom europäischen Pokal hatte die 'Junge Welt‘ (Ost-Berlin) als lakonischen Kommentar den Abzählreim der Kinder, mit dem sie auch in der Innenpolitik täglich ihre Schlagzeile machen könnte: “...und raus bist auch du!“

Thömmes