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Zentralamerika: Zeit für Sinatra-Doktrin

Der Schriftsteller Carlos Fuentes über den amerikanischen Hegemonismus  ■ D O K U M E N T A T I O N

Im Dezember 1968 reiste ich mit dem agentinischen Schriftsteller Julio Cortazar und dem kolumbianischen Romancier Julio Cortazar nach Prag. Wir wollten unsere Solidarität mit der Dubcek-Führung ausdrücken, die damals trotz der sowjetischen Invasion im August dieses Jahres noch im Amt war. Die Tschechen, Kinder Kafkas und Schwejks, hielten die Fiktion aufrecht, daß sie, wenn sie nur moralisch und intellektuell durchhielten, den Prager Frühling weiterführen könnten - den russischen Panzern zum Trotz, die um Prag herum lagen. Das war ebenso tapfer wie unrealistisch. Als lateinamerikanische Schriftsteller wurden wir aufgefordert, nicht über die Breschnew, sondern über die Monroe-Doktrin zu sprechen. Wenn wir die USA-Interventionen in Lateinamerika erwähnten, würde unsere Zuhörerschaft verstehen, daß wir die sowjetischen Interventionen in Zentraleuropa meinten. „Monroe“ würde für „Breschnew“ stehen. Perestroika und Glasnost haben vor zwei Jahrzehnten in der Tschechoslowakei begonnen und wurden ebendort niedergeschlagen. Es ist nur logisch, daß diese beiden Konzepte jetzt an ihren Geburtsort zurückkehren. Statt der Breschnew-Doktrin haben wir jetzt die Sinatra-Doktrin, wie sie von dem sowjetischen Regierungssprecher Gennadi Gerassimov benannt wurde, dessen Humor eher Gogolschen denn Kafkaschen Ursprungs ist. Laßt jedes Land „do it its way“. Wenn wir die sowjetische mit der amerikanischen Einflußsphäre vergleichen, müßen wir uns fragen'ob die Bush -Administration mit ihrer eigenen Sinatra-Doktrin für El Salvador, Nicaragua oder Cuba aufwarten kann. Finden wir uns nicht in einer paradoxen Situation, wo sich die Sowjetunion mit atemberaubenden Initiativen in Richtung des 21. Jahrhunderts bewegt, während die USA anachronistischen Illusionen über Einflußzonen und ideologische Rigidität nachhängen. Denn die USA antworten in Zentralamerika und den Kariben keineswegs auf die einfallsreiche und innovative sowjetische Politik in Europa. Vielleicht kann man dieses Paradoxon mit einem anderen erklären. Im Zeitalter gegenseitiger ökonomischer Abhängigkeit und allgegenwärtiger Kommunikation werden wir Zeugen, wie die allerältesten Nationalismen wiederauferstehen. Von Armenien über Litauen hin zur Ukraine, von Nordirland über Brittanien zum Baskenland werden Warnzeichen sichtbar, die den Prozeß der europäischen Einigung bedrohen. Die Erbauer des gemeinsamen europäischen Hauses werden neue Formen des Föderalismus erfinden müssen um dieser Herausforderung zu begegnen. In Lateinamerika ist der Nationalismus nicht in Randzonen zerstreut. Er konzentriert sich in den Nationalstaaten, die er ja auch definiert. Brasilien und Mexiko haben heute ihre Nationalismen konsolidiert und können die Aufgaben der politischen und ökonomischen Modernisierung ohne Einmischung von außen in Angriff nehmen. Aber Länder wie Nicaragua haben bisher kaum ihre nationalen Institutionen aufbauen können. Die sandinistische Regierung hat die Kontras besiegt und ist jetzt dabei, sie endgültig zu beseitigen. Aber was Nicaragua wirklich braucht, ist die Liquidierung der jahrhundertealten Geschichte nordamerikanischer Interventionen. Die gegenwärtige Regierung Nicaraguas stützt ihre Legitimität wenigstens zum Teil auf die Tatsache, daß sie die erste ist, die keine Anordnungen von Washington entgegennimmt. Auf dieser Tatsache aufbauend, können im nächsten Februar Wahlen unter internationaler Kontrolle abgehalten und den Oppositionsparteien freies Spiel gewährt werden, können die nationalen Institutionen gefestigt werden und der zivilen Gesellschaft, die noch in den Kinderschuhen steckt, können größere Beteiligungsrechte gewährt werden. Aber die Bush -Administration hat es wieder für richtig gehalten, die Lektionen der Vergangenheit zu vergessen. Sie hat Violetta Barrios de Chamorro, die zur Kandidatin der UDA ausersehen wurde, ihren Todeskuß aufgedrückt. So sind die Wahlen zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Präsidenten Daniel Ortega und Präsident Bush geworden, wie die Wahlen von 1946 in Argentinien zu einem Kampf zwischen Juan Domingo Peron und seinem Feind, dem USA-Botschafter Spruille Braden geworden waren. Natürlich gewann der nationalistische Kandidat. Die Situation in El Salvador kann nicht mit der in Nicaragua verglichen werden. Die Guerillia der FMLN war keine Erfindung des Auslands wie die Kontras. Sie wurde in El Salvador geboren und wird dort gewinnen oder verlieren. Die Kontras konnten keine einzige Schlacht innerhalb Nicaraguas gewinnen. Die FMLN hingegen kontrolliert nicht nur einen großen Teil des Landes, sie war sogar in der Lage, eine kraftvolle Offensive gegen die Hauptstadt selbst vorzutragen. Sie stellte den Präsidenten Cristiani vor die Alternative, entweder ernsthaft zu verhandeln oder sich einem Blutvergießen ohn Unterlaß und einer Situation ohne Ausweg gegenüber zu sehen. Die Bush-Administration bewaffnet weiter die Armee und die Todeschwadronen von El Salvador. Der gemeinsame Verantwortung der USA und Sowjetunion, keine Waffen in die Region zu schicken, wird damit ausgewichen. Darum geht es. Würde Bush die Sinatra-Doktrin in Zentralamerika proklamieren sähen wir ein Wettrennen zum Verhandlungstisch in El Salvador und die politischen Verhältnisse in Nicaragua würden sich normalisieren. Kann irgendein Mensch glauben, daß in der Ära Gorbatschow, angesichts des Falls der Berliner Mauer, Gorbatschow die Absicht hat (von der Befähigung mal ganz abgesehen), in entlegenen Kleinstaaten Zentralamerikas stalinistische Diktaturen zu errichten? Natürlich besteht des Problem Kuba. Das Castro-Regime wird mit jedem Tag mehr von seinen alten Bündnispartnern in der kommunistischen Welt isoliert. 1968 gab es innerhalb der kubanischen Führung eine stürmische Debatte über die Frage'ob man die Invasion der Tschechoslowakei durch die Warschauer-Pakt-Staaten unterstützen oder verurteilen solle. Castro hoffte, daß die Tschechen Widerstand leisten würden. Aber an der Moldau gibt es keine Sierra Maestra. Einmal mehr mußte Castro eine Politik unterstützen, der er lieber nicht gefolgt wäre. Seit das „Reich des Bösen“ nicht mehr zur Hand ist, sind die USA gezwungen, der diplomatischen Phantasie Gorbatschows etwas entgegenzusetzen. In Zentralamerika und Kuba könnte Bush der USA-Politik Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.

Aus: 'International Herald Tribune‘ vom 7.12.1989

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