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„Ich geh‘ weg und du bleibst da“

■ Gespräch mit Prof. Mergner, Mit-Initiator der Ausstellung: Mutterbild im Kinderbuch

taz: Eine Ausstellung über das Bild der guten und der bösen Mutter, was soll das heutzutage?

Gottfried Mergner: Das ist ja eine Ausstellung über Kinderbücher und Jugendbücher, das heißt, es geht um das Bild der guten und der bösen Mutter in diesen Büchern. Es geht darum, daß dieses Bild immer eine Frau betrifft, die Mutter, alleinverantwortlich für die Kinderaufzucht und Kindererziehung. Diese isolierte Mutterfigur, eingesperrt in die Kleinfamilie, eingesperrt in die kleine Wohnung, ist eine Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft. Sie wird zunehmend zur einzigen menschlichen Bezugsperson für die kleinen Kinder. Damit das aushaltbar ist, spaltet sich dieses Bild auf in gute und böse Teile bis in die Hexe und die Mutter Maria.

Inwiefern ist das ein Charakteristikum der bürgerlichen Gesellschaft?

Ganz kurz ein Beispiel: in afrikanischen Kulturen und anderen Gesellschaften gibt es für die kleinen Kinder mehrere Ansprechinstanzen. Die Belastung einer Frau mit der ganzen primären Sozialisationsaufgabe ist in der Tat eine Erfindung der bürgerlichen Gesellschaft.

Wie drückt sich das denn im Kinderbuch aus?

Das macht eine Geschichte durch und die versuchen wir nachzuzeichnen. Die bürgerlichen Väter

finden Erziehung ganz wichtig, weil sie ja die familiäre Kontinuität und den Besitz wichtig finden. Die haben Befürchtungen, daß die Mutter das nicht richtig macht und nehmen die Erziehung selbst in die Hand. In Kinder-und Jugendbüchern zeigen sich da Warnungen vor der Mutter, die zu sehr die Kinder verwöhnt und damit fürs Leben verdirbt.

Die Geschichte geht aber weiter. Nachdem der Vater dann mehr und mehr abwesend ist, überläßt er der Mutter mehr und mehr die ganze frühkindliche Aufzucht und die Erziehung der Kinder bis ins Berufsleben alleine und das spiegelt sich in den Kinder-und Jugendbüchern wieder, als Konfliktgeschichte und als Bewältigungsgeschichte.

Je mehr eine Frau für das Kind zur einzigen Bezugsperson wird, wird seine Erwartung an sie unermeßlich hoch auch wenn sie eigentlich gar keine eigene Macht hat. Das was an gesellschaftlicher Unmacht in die Kleinfamilie eindringt, erscheint dem Kind als die Versagungsmacht der Mutter. Wenn der Vater Alkoholiker ist und die Kinder schlägt ist im Auge des Kindes nieder die Mutter schuld, die es nicht geschützt hat. Um das bewältigen zu können, um die Liebe der Mutter zu bewahren und trotzdem mit dem Haß und den negativen Gefühlen fertig zu werden, kommt es zur

Aufspaltung.

Kinderbücher werden in aller Regel nicht von Kindern gezeichnet, sondern von Erwachsenen.

Das finde ich daran spannend. Dadurch, daß die Männer und Frauen, die in pädagogischer Absicht Kinder-und Jugendbücher entwerfen, sich ein Stück weit einfühlen müssen, müssen sie sich ein Stück zurückerinnern. Die Ambivalenzen, die sie selbst erfahren haben, gehen nicht reflektiert, aber unbewußt in ihre pädagogischen Gestaltungen ein.

Das Mutterbild im Kinderbuch unterliegt also den Nach -Wirkungen, der kindlichen Verdrängungsleistung.

In der Art und Weise, wie Erwachsene das Problem verdrängen und zu bewältigen versuchen. Und das macht die Kinder-und Jugendbücher zu einer spannenden Quelle. Weil es immer beides ist, die pädagogische Absicht, also die gesellschaftliche Normierung, und die Art und Weise, mit der gesellschaftlichen Normierung fertig zu werden.

Warum machen sie heute so eine Ausstellung? Ist das Zufall, hätte es genausogut vor zehn Jahren sein können?

Eigentliches Motiv ist, daß ich selber das Problem für mich spannend fand. Ich bin ein Produkt der Studentenrevolte und die war ein Versuch, rebellierend mit der Vätergesellschaft fertig zu werden.

Und da war auch ein bestimmter Erfolg dran. Wir haben aber nicht gemerkt, daß eigentlich die Mutter in unserer Seele war. Und das hat unsere Politik selber sehr ambivalent gemacht. Das ist eine Entdeckung, die ich an mir und anderen gemacht habe. Wie bei jedem Verdrängungsproblem hätte es schon früher Gründe gegeben, sich damit zu beschäftigen, aber wahrscheinlich hätten früher die Frauen in dem Team, das wir haben, drei Männer, drei Frauen, so ein Projekt nicht mitgemacht. Daß Männer und Frauen sich zusammen mit ihrer Mutter beschäftigen können, das ist etwas, das schon an dem Zeitpunkt liegt.

Mir fallen in den letzten Jahren die vielen Mütter in meinem Blickfeld auf. Hat ihre Ausstellung denn auch mit dem neugeboomten Mutterstolz zu tun?

Die Frauen in unserem Team, die haben ganz bestimmt daran gedacht und haben das auch in die Diskussion mit eingebracht. Die haben auch gezeigt, daß sie Angst haben vor so einer ungebrochenen Mütterlichkeit, die aus der Lust an den einfachen Lösungen die Frauen wieder in die Mühle hineintreibt. Das ist wohl richtig, daß das in den Köpfen der Frauen im Team ein starkes Motiv war. Bei mir weniger. Fragen: ste

Die Ausstellung ist bis 31.12. im Stadtmuseum OL zu sehen.

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