Die Sache mit den Gurkenscheiben

■ Der Kreuzberger „Jugendladen“ in der Taborstraße wird 15 Jahre alt

Verlorengegangene Gurkenscheiben vom Fußboden wegwischen? „Früher - wie habe ich darum kämpfen müssen“, erinnert sich Michael Mamczek an manchen türkischen Jugendlichen, der in den „Jugendladen“ kam. Heute nehmen die Jugendlichen in der Kreuzberger Taborstraße „den Besen schon mal selbst in die Hand“. Einmal in der Woche wird mit den ausländischen Kindern gekocht. Und die Gurkenscheiben fallen seit Jahren vom Tisch, denn der Laden wurde vor 15 Jahren gegründet.

Wenn die jetzigen Laden- und Jugendhüter sich an das Gründungsjahr 1974 erinnern, dann daran, „daß ich da ungefähr so war, wie die Jugendlichen hier drauf sind. Kein Interesse mehr für Schule, nur noch für Jungs und Disco“, so die 29jährige Erziehrin Bettina Engel.

In den Gründerjahren kamen fast nur deutsche Jugendliche, jetzt sind es ausnahmlos ausländische, fast nur Türken und selten Mädchen. Sie sind zwischen 10 und 15 Jahre alt, aber es kommt auch eine feste Gruppe von älteren Jugendlichen. Sie kommen meist aus „beengten Wohnverhältnissen“, manchmal hat der Vater keine Arbeit, trinkt, und die Mutter schuftet, beschreibt „Jugendladen„-Leiter Michael (27) die Ausgangsbedingungen. Und sie sind „keine Deutschen“. Wenn die Jungs in der U-Bahn toben und dabei Leute anstoßen oder mit leeren Cola-Dosen schießen, dann heißt es eben nicht nur, das sind „Jugendliche“, sondern auch, „das sind Ausländer“.

Mit den Kindern „gehen wir soviel wie möglich 'raus, weil die reale deutsche Welt draußen ist“. Dann geht's ins Blubb, ins Europacenter, schwimmen oder ins Kino. Bei den Schularbeiten hilft Lehrer Thomas Castella (33). Der besucht mit ihnen auch mal den Elektriker um die Ecke. In des Meisters Werkstatt versteht nachmittags mancher, was vormittags der Physiklehrer nicht richtig erklären konnte. „Aber es ist schwierig, die Kinder für so etwas zu motivieren“, berichtet Thomas. „Wieviel kostet das?“ sei fast immer ihre erste Frage. Wenn es umsonst ist, „kann es nichts Gutes sein“.

Die 24jährige Praktikantin Uschi Gärtner hatte am Anfang mit den frechen ausländischen Kindern Schwierigkeiten, die sie „angemacht“ haben, oder ihr den „Stinkefinger in der U -Bahn gezeigt haben“. Mittlerweile weiß sie, daß es sich nicht „gegen sie“ richtet. Sie wollen vor ihren Freunden einfach auffallen.

Die Sache mit den Gurkenscheiben hat übrigens noch nicht jeder eingesehen. Wenn Michael saubermacht, entgegnet ein türkischer Jugendlicher auch mal: „Machst du das zu Hause auch? Du hast doch 'ne türkische Frau.“ Wenn sie dann merken, daß es nicht überall so ist wie bei ihnen zu Hause, ist wohl ein Stück Integration gelungen.

Dirk Wildt