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MOOSWIRTIN ALS STREIKBRECHERIN

■ Kleinwalsertaler Streit um Biersteuer - Touristen müssen Suppe auslöffeln

Es war ein wunderschöner Sonntag im letzten Sommer: Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel, und die Berge des Kleinen Walsertales standen nah und klar wie sonst nur auf der Titelseite des Fremdenverkehrsprospektes. Scharen von Urlaubern kehrten hungrig und durstig von einer langen Wanderung zurück, Massen von Tagesausflüglern stiegen aus ihren Autos und wollten sich vor herrlicher Kulisse eine deftige Brotzeit gönnen. Rekordumsätze winkten. Doch dann kam alles ganz anders: Statt der Speisekarte hatten die 80 Wirte des Tales ein Plakat ausgehängt. „Erster gemeinsamer Zusperrtag“ war darauf zu lesen. Die Gäste standen mit knurrendem Magen vor verschlossenen Türen und fluchten. Was trieb die als geschäftstüchtig bekannten Gastronomen dazu, die Küche kalt zu lassen und auf die immensen Einnahmen zu verzichten?

Mit ihrem Streik wollten die Wirte gar nicht die Touristen treffen. Die mußten vielmehr als „Mittel zum Zweck“ herhalten. Der Protest richtete sich gegen eine zehnprozentige Biersteuer. Die Gemeindevertretung, das kommunale Parlament des Kleinen Walsertales, hatte kurz zuvor beschlossen, ein 250.000-Mark-Loch im Haushalt über diese Abgabe zu stopfen. In den meisten anderen Tourismusmetropolen der Alpen hätten die Restaurantbesitzer diese Bürde entweder zähneknirschend geschluckt oder cool an die Gäste weitergegeben. Doch im Kleinen Walsertal ist manches anders als im „Rest dieser Welt“, wie die Leute hier gerne sagen. Deshalb mußte es zur Eskalation kommen. Um die Hintergründe zu verstehen, ist ein kleiner Ausflug in die Geschichte notwendig.

Die angestammte Heimat der Walser ist, wie schon der Name sagt, das Wallis in der Schweiz. Dort, im Schatten des Matterhorns, rangen sie dem kargen Boden so viel ab, daß sie notdürftig überleben konnten. Doch vor rund 800 Jahren reichte es nicht mehr. Die Bevölkerung war zu stark gewachsen. Und da als Überlebensgarantie der Hof der Familie immer nur an den ältesten Sohn weitergegeben und keinesfalls aufgeteilt werden durfte, mußten viele Geschwister auswandern. Sie suchten ihr Auskommen in Italien, Graubünden, Liechtenstein und Vorarlberg. Weil aber die fruchtbaren Täler dort überall schon besiedelt waren, blieb den Walsern wieder nur das übrig, was sie schon immer gemacht hatten: mit Hilfe ihres Erfahrungsschatzes die ungünstigen Hochlagen urbar zu machen; am Existenzminimum dort zu überleben, wo sonst keiner mehr wohnen wollte.

Ein Teil dieses Bergvolkes, das sich am weitesten nach Norden vortastete, kam gegen Ende des 13. Jahrhunderts in jenes Gebiet, das heute Kleines Walsertal heißt. Sie hatten eine Wanderung quer durch die Alpen über bis zu 2.000 Meter hohe Pässe hinter sich. Die Enklave Kleinwalsertal liegt rund 1.200 Meter hoch und wird bis auf einen schmalen Durchlaß im Norden vollständig von hohen Gipfeln eingerahmt. Es gibt Häuser, die von November bis März kein Sonnenstrahl streichelt.

Politisch gehört das Kleinwalsertal zu Österreich. Doch vom Mutterland ist es geographisch abgeschnitten. Um dorthin zu gelangen, müssen die Einwohner, die sich auf vier Orte und zahllose Streusiedlungen verteilen, entweder die Bergstiefel schnüren und in einem mehrstündigen Fußmarsch den Hochtannberg-Paß überschreiten. Oder sie setzen sich ins Auto und fahren 150 Kilometer Umweg über die Bundesrepublik Deutschland und den Bodensee, um in ihre zuständige Bezirkshauptstadt Dornbirn zu gelangen. Da orientierten sich die Leute lieber gleich am zehn Kilometer weiter nördlich beginnenden Allgäu und konzentrierten sich genauso wie der gleich um die Ecke liegende Weltkurort Oberstdorf auf den Fremdenverkehr.

Heute sind die Kleinwalsertaler dankbar, daß es zum schon vor 100 Jahren geplanten, besonders während der Nazizeit angestrebten Tunnelbau nach Österreich nie gekommen ist. Denn so wären sie nur Durchgangsstation, während sie heute als beliebtes Reiseziel Jahr für Jahr höhere Übernachtungszahlen verbuchen können. Walser Dickschädel

Bei den Walsern kommen gleich zwei Faktoren zusammen, die immer für die Ausbildung von Dickschädeln gut sind: Sie leben als ethnische Minderheit und grenzen sich mit ihrer Sprache und Kultur scharf gegen die Umgebung ab. Außerdem sind sie Bergbewohner, die über Jahrhunderte von der Auseinandersetzung mit der kargen und harten Landschaft geprägt wurden. Und so gibt es normalerweise im Kleinen Walsertal nur eines: zusammenstehen. Wenn allerdings einmal nach langen Perioden der Eintracht die Dickschädel gegeneinander rennen, dann kracht es ganz gewaltig. Und so eine Konfrontation war wegen der Biersteuer wieder einmal fällig.

Dabei war die Alkoholabgabe eigentlich nur der Auslöser. Denn in ganz Österreich, bis auf das Kleine Walsertal, ist diese Steuer schon längst üblich. Es wurde also nur eine Ausnahmegenehmigung abgeschafft, dafür aber im Gegenzug die Steuer für alkoholfreie Getränke erlassen. Die Konkurrenz im angrenzenden Deutschland muß sowieso mit einer höheren Mehrwertsteuer fertigwerden.

Es prallten vielmehr zwei unterschiedliche Fremdenverkehrsphilosophien aufeinander. Die meist jungen und dynamischen Wirte wollen das Tal verstärkt für die neuen Mode-Sportarten wie Gleitschirmfliegen und Mountain-Biking öffnen und so neue Urlauber anlocken. Die andere, klassische Richtung setzt hingegen weiter auf die gediegenen Gäste, die ausspannen wollen und Ruhe suchen. Um dieses Publikum nicht zu verärgern, hatte man Gleitschirmfliegen, Mountain-Biking und Reiten stark eingeschränkt. Für alles gleichzeitig, so die Argumentation der „Konservativen“, sei im engen Tal nicht genug Platz. Das sei eine „schlappe Einstellung“, entgegneten die „progressiven“ Wirte - und machten Dampf. Medienrummel

Neben dem Zusperrtag organisierten sie eine Podiumsdiskussion (zu der allerdings der Bürgermeister und die Gemeindevertreter nicht kamen) und verteilten unzählige Flugblätter. Außerdem bekam der einzige „Streikbrecher“ den Zorn einiger Kollegen zu spüren. Die „Moosklause“ in Mittelberg hatte an jenem denkwürdigen Sonntag als einziges Lokal im Tal geöffnet und legendäre Einnahmen erzielt. Doch dafür wurde sie in „Judasklause“ umbenannt und zur Adresse für anonyme Telefondrohungen. Die Wirtin der „Moosklause“ ging nur noch mit dem Gummiknüppel zum Einkaufen und erzählte das einem Lokalreporter. Und damit war das Thema „Biersteuer-Streit“ endgültig in allen Blättern der Umgebung vertreten. Auch der 'Süddeutschen‘ war die Affäre mehrere Berichte wert, Kameras von ARD, ZDF und Österreichischem Rundfunk tauchten auf, und den Einwohnern wurde manches Radiomikrophon zum Interview hingehalten. „Presse, Funk und Fernsehen sind die wahren Gewinner unserer Auseinandersetzung“, erkannte Bürgermeister Alois Fritz ohne daß sich danach etwas an der harten Gangart der Kontrahenten geändert hätte.

Wenn die Medien die Gewinner sind, dann sind die Wirte die vorläufigen Verlierer. Denn alles Toben nützte bisher nichts. Die Gemeindevertretung stimmte zwar nochmals über die Biersteuer ab, das Ergebnis lautete aber genau wie beim ersten Mal: 15 zu 9.

Doch klein beigeben wollen die streitbaren Gastronomen nicht. Drohungen wie Steuerboykott oder Einstellen der Fremdenverkehrsabgabe machen momentan unterschwellig die Runde. Weil im Kleinwalsertal aber sowieso gerade „tote Hose“ ist und sich alle für die Weihnachtssaison ausruhen, herrscht auch im Streit um die Biersteuer Sendepause. Hinter den Kulissen laufen Verhandlungen, die niemand offiziell bestätigt. Doch das Ziel ist klar. Die Energien sollen wieder gemeinsam in altbewährte Bahnen fließen. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß sich mit Blick auf die Wintersaison wieder die alte Einigkeit einkehrt. Denn einen Punkt gibt es doch, in dem sich das Kleinwalsertal nicht vom „Rest der Welt“ unterscheidet: Auf die Dauer geht das Geschäft vor.

Markus Noichl

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