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MARE NOSTRUM

■ Quotenregelung für Mittelmeertouristen: Hinz und Kunz unerwünscht

Mit erheblichen Einschränkungen der Reisefreiheit müssen Touristen aus west- und nordeuropäischen Ländern in Zukunft rechnen. Die Tourismusminister aus der Türkei, Jugoslawien, Griechenland, Italien, Spanien, Tunesien und Portugal trafen sich vor kurzem zu einer Klausurtagung in Benidorm/Spanien.

„Die von Jahr zu Jahr ansteigende Touristenschwemme aus West- und Nordeuropa führt zu sozialen Konflikten, vor denen wir nicht länger die Augen verschließen können.“ Der Sprecher der Tagung, Pietro Castello, führte weiter aus: „Es häufen sich Klagen in unseren Ländern über die bevorzugte Behandlung der Touristen in Hotels, Restaurants und an den Stränden. Große Teile der Bevölkerung scheinen nicht mehr bereit, die kulturelle Überfremdung durch Urlauber hinzunehmen. Wir sind gezwungen zu handeln, wenn keine soziale und politische Zeitbombe entstehen soll.“

Einigkeit herrschte bei den Vertretern aller Staaten: „Wir wollen lieber weniger, aber dafür finanzkräftigere Touristen.“ Geht es nach dem Willen der Minister, wird der Touristenflut schon in der Saison 1990/91 mit Hilfe monetärer Instrumentarien und der Errichtung touristischer Sperrgebiete Einhalt geboten.

Der Tourismusminister Griechenlands, Theodoros Hatziliadis, brachte es auf den Punkt: „Wir können es weder der Ökologie noch der ortsansässigen Bevölkerung länger zumuten, daß der Massentourismus auch vom letzten Winkel Griechenlands Besitz ergreift. Seien wir doch offen: In den letzten Jahren wurden ganze Inseln wie Kreta, Skopelos oder Samothraki schlichtweg zugeschissen, die letzten Biotope niedergetrampelt und die griechischen Urlauber vertrieben. Wir sehen keine andere Möglichkeit mehr, als den Zugang zu den Inseln durch Quoten zu regeln.“ Ähnlich äußerte sich der türkische Minister Toprak. Er gab darüber hinaus Überlegungen seiner Regierung bekannt, Marmaris, Bodrum und Kas künftig gänzlich für Touristen aus EG-Staaten zu sperren.

Einzelne Maßnahmen, über die auf der Klausurtagung Konsens herrschte:

-In besonders attraktiven Urlaubsregionen sollen künftig 75 Prozent der Übernachtungsmöglichkeiten Bewohnern der Mittelmeerstaaten vorbehalten bleiben. Weniger gefragte Urlaubsregionen unterliegen nicht dieser Quotenregelung.

-Einführung der Visapflicht für Touristen. Die Einreise wird grundsätzlich verweigert, wenn die letztmalige Einreise in das jeweilige Mittelmeerland weniger als drei Jahre zurückliegt.

-Schärfer als bisher soll gegen Ausländer vorgegangen werden, die sich mit Hilfe einheimischer Strohmänner am Ausverkauf der Küstenregionen und des knappen Wohnraums beteiligen.

-Straffällig gewordene Touristen erhalten ein unbegrenztes Einreiseverbot. In Portugal, Tunesien, Griechenland und der Türkei wird Nacktbaden künftig strafrechtlich verfolgt. Zuwiderhandlungen haben die umgehende Ausweisung zur Folge.

-Um den anarchischen Individualtourismus einzudämmen, müssen Einzelreisende künftig bei der Einreise eine Sondersteuer von 150 DM entrichten.

-Um den Billigtourismus einzudämmen, steigen die auf der Klausurtagung vertretenen Länder aus dem Interrail-Verbund aus.

-Die mit der Eingrenzung von Individual- und Billigtourismus einhergehenden Einkommensverluste werden über eine Verteuerung der Pauschalreisen aufgefangen.

-Pläne, Touristen vor ihrer Einreise an den Grenzen einem Aids-Test zu unterziehen, werden vorerst zurückgestellt. Vor einer endgültigen Klärung dieser Frage wird ein Austausch mit den bayerischen Grenzstellen angestrebt.

Auf Einwände des Deutschen Gewerkschaftsbundes und westdeutscher Unternehmensverbände, die darauf verweisen, daß mit diesen einschneidenden Maßnahmen vor allem die hart arbeitenden, finanzschwachen Bevölkerungsschichten in der Bundesrepublik Deutschland getroffen würden, entgegneten die Minister einhellig: „Wir sind gerne bereit, die BRD bei ihren Bemühungen um die Regeneration ihrer Arbeitskräfte zu unterstützen. Angesichts unserer ökologischen und sozialen Probleme sehen wir uns aber nicht in der Lage, die Bedürfnisse von Hinz und Kunz aus Castrop-Rauxel zu befriedigen.“

Mit einem hilflosen Achselzucken reagierten die Minister auf die Protestnote deutscher Reiseveranstalter, in der diese gegen die vor allem Touristen betreffende Kleinkriminalität in Italien und Südspanien protestierten. Der Sprecher der Konferenz betonte, daß diese Form der Umverteilung des Reichtums zwar nicht gebilligt, aber deren sozial stabilisierende Funktion nicht übersehen werden könnte. „Wer während der Saison sein Taschengeld durch ein paar kleine Diebstähle aufbessern kann, bleibt im Lande und drängt nicht als Gastarbeiter auf den bundesrepublikanischen Arbeitsmarkt“, gab Pietro Castello weiterhin zu bedenken.

Der spanische Minister Sanchez verwies in diesem Zusammenhang auf die Jugendarbeitslosigkeit von über fünfzig Prozent in seinem Land und empfahl den Abschluß einer Diebstahlversicherung. Augenzwinkernd fügte er hinzu: „Es ist doch eine bekannte Tatsache, daß ein Diebstahl in den meisten Fällen ein lukratives Geschäft für beide Seiten ist. Und es ist doch keine Katastrophe, wenn das Assekuranzwesen des Nordens in dieser Form ein wenig zur Strukturentwicklung des Südens beiträgt.“

Eberhard Seidel-Pielen

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