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Über allem schwebt der Schäuble-Entwurf

■ Sollte der Bonner Entwurf für ein neues Ausländerrecht Gesetz werden, wäre dies ein Rückschlag für die rot-grüne Koalition Klarer Affront gegen Pätzolds Flüchtlingsweisung / Spandauer Ausländerbeauftragte befürchtet „gläsernen Ausländer“

Schnurgerader Scheitel, moderate Rhetorik und eine gemächliche Mundart - im Vergleich zu seinem Vorgänger Friedrich Zimmermann ist Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble eine wahrhaft umgängliche Erscheinung. So schlimm kann's denn ja nicht sein, dachten die meisten, als der Innenminister im September seinen Entwurf für ein neues Ausländerrecht der Presse präsentierte. Es dauerte seine Zeit, bis Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften schwante, was da noch so eilig vor dem Ende der Legislaturperiode Gesetz werden sollte. Nachdem zwischendurch Schäubles Zeitplan ausgerechnet am CSU -Einspruch zu scheitern schien, hat man sich in der Bonner Koalition nun geeinigt. Das neue Ausländergesetz ist auf dem Weg - auch ins SPD/AL-regierte Berlin. Viele rot-grüne Vorsätze in der Ausländerpolitik wären Makulatur.

Denn in der Welt des Bundesinnenministeriums werden AusländerInnen faktisch auf zwei Kategorien reduziert: Arbeitskräfte und potentielle Störfaktoren. Das ist an sich nicht neu und wäre nicht ganz so schlimm, bliebe den einzelnen Bundesländern genügend Spielraum, durch fortschrittlichere Ausführungsvorschriften und Erlässe einiges auszugleichen. Genau das will Schäuble jedoch verhindern. In Zukunft soll die Ausländerpolitik en detail in Bonn festgelegt werden. Was Schäuble den AusländerInnen als größere „Rechtssicherheit“ serviert, entpuppt sich als allumspannendes Kontrollnetz. Die Folge: selbst für Juristen ist der Paragraphendschungel kaum mehr zu durchschauen.

Nur unter bestimmten, eng gefaßten Voraussetzungen dürfen ImmigrantInnen demnach auf einen sicheren Aufenthaltsstatus hoffen; wer zum Beispiel seinen Lebensunterhalt nicht eigenständig bestreiten kann - Sozialhilfe bekommt oder obdachlos ist, dem droht die Ausweisung. In den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen gilt materielle Not ausdrücklich nicht als Ausweisungsgrund (woran sich die Berliner Innenverwaltung im Entwurf ihres neuen Ausländererlasses allerdings nicht gehalten hat).

Nach mindestens acht Jahren Leben und Arbeiten in der Bundesrepublik sollen AusländerInnen einen Rechtsanspruch auf einen gesicherten und unbeschränkten Aufenthaltsstatus bekommen - die sogenannte Aufenthaltsberechtigung. Bei näherem Hinsehen ist dieser Fortschritt mit Haken und Ösen verbunden: zum Beispiel an den Nachweis „ausreichenden Wohnraums“. Was Anfang der siebziger Jahre in der durchaus guten Absicht eingeführt worden war, eine Ghettoisierung von AusländerInnen zu verhindern, hat sich längst zum Bumerang entwickelt. Auch angesichts der massiven Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, hat der europäische Gerichtshof die BRD vor zwei Monaten scharf gerügt, weil sie weiterhin am Kriterium des „ausreichenden Wohnraums“ - notfalls mit dem Zollstock - festhält.

Eine Rückkehroption für Erwachsene, wie sie AL und SPD für Berlin geplant haben, soll es nach dem Bonner Entwurf überhaupt nicht geben. Nur AusländerInnen, die als Minderjährige mindestens acht Jahre hier gelebt haben, dürfen in die Bundesrepublik oder nach West-Berlin zurückkommen - vorausgesetzt, sie können bei der Einreise gleich einen gesicherten Lebensunterhalt vorweisen.

Während die Berliner Koalition ausländische Kinder bis zum 18. Lebensjahr zu Vater oder Mutter nach West-Berlin ziehen lassen will, erlaubt der Schäuble-Entwurf den Nachzug nur bis zum 16. Lebensjahr - und auch dann nur zu beiden Elternteilen. Geht es um das heile Familienleben von Flüchtlingen, zeigt man sich dagegen weniger besorgt. Flüchtlingskinder unter 16 Jahren sollen in Zukunft bei der Einreise Pässe und Visa vorweisen; Flüchtlingsorganisationen haben diesen Passus mit Entsetzen quittiert. Kindern aus Krisen- und Bürgerkriegsgebieten wird damit der Fluchtweg abgeschnitten.

Nationalstaatliche Allmacht will Schäuble demonstrieren, wenn es um die politische Betätigung von AusländerInnen geht. Politische Äußerungen aus dem Munde eines Ausländers, die „geeignet sind, die politische Willensbildung in der Bundesrepublik... zu beeinträchtigen“, können verboten werden - ebenso die Teilnahme an Veranstaltungen. Bei internationalen Konferenzen oder Staatsbesuchen droht AusländerInnen Hausarrest. Methoden, die man vom bayerischen Innenministerium kennt, das beim Besuch des damaligen indischen Ministerpräsidenten Ghandi in München lebenden Sikhs Polizeibeamte vor die Wohnungstür stellte.

In Sachen Flüchtlingspolitik ist der Schäuble-Entwurf ein unverhohlener Affront gegen rot-grüne Flüchtlingspolitik. In wenigen Absätzen wird die - ohnehin schon gestutzte Berliner Flüchtlingsweisung von Innensenator Pätzold faktisch aufgehoben. Die Aufenthaltserlaubnis für Flüchtlinge, die länger als fünf Jahre in Berlin leben, wandeln die Juristen im Innenministerium kurzerhand in eine „Aufenthaltsbefugnis“ um. Die bekommt nur, wessen Asylantrag „bestandskräftig abgelehnt ist“. Auch Flüchtlinge, die bei der zunehmend restriktiven Rechtsprechung keine Chance auf Anerkennung als politisch Verfolgte nach Artikel 16 des Grundgesetzes haben, müssen erst Asyl beantragen - und sei es nur für die jährliche Statistik des Bundesinnenministeriums über vermeintlich steigende Asylantragszahlen.

Ob Flüchtlinge in bestimmte Länder abgeschoben werden können, will Schäuble in Zukunft nicht mehr die Innenminister der Bundesländer allein entscheiden lassen: ein Abschiebestopp, der laut Berliner Flüchtlingsweisung von Innensenator Pätzold Menschen aus dem Iran, Sri Lanka, Libanon, Afghanistan und Äthiopien gelten soll, könnte dann am Bonner Veto scheitern. „Viele Menschen, die wir aufgrund der Weisung endlich für abgesichert halten, könnten dann wieder abgeschoben werden,“ erklärt Olaf Neußner, Flüchtlingsreferent von amnesty international in Berlin.

„Besser kein Gesetz als so eines.“ Solch massive Kritik kommt inzwischen auch aus dem Munde der Berliner Ausländerbeauftragten, Barbara John. Ihre Spandauer Amtskollegin Elona Müller sieht zudem einen wichtigen Pfeiler ihrer Arbeit gefährdet - den Vertrauensschutz. Weil der Bonner Entwurf unter anderem die Ausländerbeauftragten einer Mitteilungspflicht unterwerfen will, befürchtet sie das Ende des Datenschutzes und die Geburt des „gläsernen Ausländers“.

Wer auch immer seine Kritik gegen den Bonner Entwurf noch in die Waagschale werfen will, er muß sich beeilen. Sollte die Bonner Koalition zusammenhalten, steht die Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode bevor. „Die werden das durchpeitschen“, befürchtet der ausländerpolitische Sprecher der Berliner SPD, Eckhard Barthel. „Schon allein wegen Berlin.“

anb

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