: Selbstbild ohne Bruch
Interview mit Hermann Kant, Vorsitzender des Schriftstellerverbandes der DDR ■ I N T E R V I E W
taz: Welche Zukunftsaussichten haben denn unter den neuen politischen Umständen noch die großen Repräsentanten des alten Regimes, zu denen auch Sie gezählt werden?
Kant: Das kann ich Ihnen ganz praktisch beantworten. Gestern war eine Vorstandssitzung des Schriftstellerverbandes. Ich hatte in der letzten Wochen vor dem Präsidium meinen Rücktritt erklärt, aus Gründen, die nicht etwa auf ein Schuldbekenntnis hinausliefen, dazu habe ich keine Anlaß. Aber ich wollte die Arbeit als Vorsitzender nicht mehr machen, um dem Verband den Rücken freizumachen. Das Präsidium wollte da nicht mittun und hat vorgeschlagen, der Vorstand müsse darüber entscheiden. Wir haben dann am Freitag während einer langen Debatte, an der auch Leute wie Volker Braun, Rainer Kirsch und andere beteiligt waren, geheim abgestimmt, schön mit Zetteln. Herausgekommen ist das Ergebnis 60 zu 2. Ich bin also wiedergewählt worden. Meine Kollegen sind offensichtlich anderer Ansicht als viele im Westen und auch hier über meine Arbeit im Verband. Das beruhigt mich. Daß der Schriftstellerverband der vorgeschobene Teil der DDR-Gesellschaft gewesen ist, hat nämlich auch ein bißchen mit dem Kant zu tun. Das gilt übrigens auch für andere Leute. Ich verstehe ja, wenn viel von dem Negativen unserer Geschichte gesprochen wird, aber sie ist nicht nur negativ. Wir haben ja auch ein Menge Leistung aufzuweisen, es gibt menschliche Haltungen und gesellschaftliche Einrichtungen in dieser DDR, die ohne uns nicht da wären. All das ist zur Zeit völlig an den Rand gedrängt, ich werde aber auf meine Weise versuchen, dem wieder Geltung zu verschaffen.
Das klingt ein bißchen zu glatt, so, als ob es nie Konflikte auch zwischen den Schriftstellern, als ob es nie Ausgebürgerte, denen der Schriftstellerverband nur bedingt half, gegeben hätte.
Ich kann natürlich für Ihre Empfindungen nichts, sie sind sicher unglatt und scharf, aber ich gehöre zu den Leuten, die seit langer Zeit immer die Klappe aufgemacht haben, einer der wenigen, das gebe ich zu, und ich sehe nun überhaupt nicht ein, daß ich mich jetzt verkriechen soll. Bei der Schuldaufrechnung bekomme ich meinen Teil, weil ich Teil der Partei und der Parteiführung war, das ist völlig in Ordnung. Ich will aber auch bei der Leistungsaufrechnung dabeisein.
Welche Leistung? Schließlich wollten viele Delegierte hier auf dem Parteitag die Partei auflösen oder umbenennen, weil sie sich in der Gesellschaft, in ihren Betrieben und Behörden als Mitglieder dieser Partei nicht mehr sehen lassen können.
Sie kommen ja aus einer Gegend, wo sie sich viel darauf zugute halten, was Demokratie ist, dann müssen Sie auch einräumen, daß die Meinungen auch hier aufeinanderprallen. Doch ich sehe, daß die meisten Delegierten auf dem Parteitag die Partei nicht auflösen wollen.
Werden Sie ein Buch schreiben, in dem Sie die Ereignisse der letzten Zeit verarbeiten werden?
Ich weiß nicht, ob ich je wieder ein Buch schreiben werde. Ich habe das Gefühl, ich komme über die Formen des Flugblattes, der Diskussion und des Protestbriefes nicht hinaus.
Wie sehen Sie Ihre zukünftige Rolle oder Aufgabe?
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß dieser menschenfresserische, antihumane Kapitalismus einen Widerstand braucht. Er muß da sein, und er kommt nun mal von den entschiedeneren Leuten. Von den Leuten, die sich da reinbegeben, kommt er nicht.
Und deshalb haben Sie hier vieles hingenommen, was auch in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht hingenommen werden darf? Damit wurde doch gerade die Moral der Linken im Westen betroffen, nachdem im Osten die Ausstrahlung des Sozialismus verkleinert wurde, und zwar erheblich.
Sie haben Unrecht, weil Sie einfach nicht sehen, daß es hier Leute gibt, die mit ihren Mitteln versucht haben, der Partei schon seit langem zu sagen, worin sie fehlt, was Sie falsch macht. Ich werde natürlich nicht jetzt und hier sagen, was ich mit Honecker und dem Politbüro diskutiert habe. Gestern bei einer Debatte des Parteitages hat jemand ausdrücklich dargestellt, daß der Kant in seinem Bereich, der Kultur, die einzige Opposition dargestellt hat. Ich halte das für eine Übertreibung, aber ich wehre mich nicht gegen die Darstellung, nach der ich versucht habe, ein bißchen die Vernunft hoch zu halten. Es kotzt mich an, wieviele Leute jetzt zusammenkratzen, was sie irgendwann einmal an Gescheitem gemacht und versucht haben. So will ich gar nicht dabei sein, deswegen beenden wir hier die Diskussion. Nicht etwa in der Hoffnung, daß es meine letzte ist, sondern in der Gewißheit, daß ich noch Hunderte dieser Art zu führen habe.
Ist es denn nicht schön, daß Sie jetzt in der DDR schon mehr Demokratie haben als wir im Westen?
Wissen Sie, manchmal wünschte ich mir, daß es nicht ganz so viel wäre. Natürlich läßt es mich nicht kalt, wenn mir meine Partei um die Ohren fliegt. Interview: Erich Rathfelde
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