: „Meine persönliche Wiedergutmachung“
■ Schwarzarbeit: Wohnen und Krankfeiern im Osten - Malochen im Westen / Bericht über eine „multikulturelle“ Renovierungskolonne
Günther K., 42 Jahre, hat wenig Zeit. Um 9 Uhr beginnt die Arbeit, und der Weg von der Trabantenstadt Marzahn (Berlin -Ost) zur Krummen Lanke (Berlin-West) dauert zweieinhalb Stunden. Günther K. ist Schwarzarbeiter, seit zehn Tagen Mitglied auf Zeit im multikulturellen Renovierungskollektiv „Schöner Wohnen“. Vier Mann sind es, die da für Westmark streichen und schleifen - und alle vier kommen aus dem Osten. Neben Günther aus „Deutschland“, „das Wort DDR nehm ick nich in Mund“, Markos, Mischa und Jan aus Polen. Gefunden haben sie sich über eine Kleinanzeige in der 'Zweiten Hand‘.
Dort annoncierte Meister Ede aus Spandau „Gute Mark für schnelle Jungs und solide Arbeit an Boden und Wänden“. Für Kenner eine unzweideutige Anzeige, da wußte Günther „gleich Bescheid“. Die „solide“ Arbeit wird nicht vom Meister geleistet, Ede schafft nur die Aufträge ran, stellt das Kollektiv zusammen, besorgt Materialien und Werkzeug, rechnet mit dem Auftraggeber ab und zahlt nach Beendigung des Renovierungsauftrages die Kollektivarbeiter aus.
Ein gewöhnlicher Auftrag dauert vier Tage, Anschlußprojekt ungewiß. Aber Günther ist optimistisch, es ist schon sein zweiter Auftrag von Ede, und er fühlt sich unersetzlich. Schließlich spricht keiner Deutsch außer ihm, und die Kunden mögen es, wenn Günther Änderungswünsche und Fragen „ohne stundenlanges Radebrechen“ ausführen oder beantworten kann. Polnisch kann Günther nicht, aber die Chefsprache ist international, und Günther ist zum Chef vom Dienst geworden, zum verlängerten Arm von Ede. Noch vor Weihnachten hofft er auf einen dritten Auftrag, „ab dann is Sense, und ick meld mir wieder in die VEB Verkehrs- und Tiefbaukombinat“. Dort sollte er an einer Betonmischmaschine stehen, 45 Stunden in der Woche, für 1.43O „Aluchips“ im Monat, aber die neue Reisefreiheit verführt zum viel lukrativeren Krankfeiern. Ideologische Bauchschmerzen ob dieses Seitenwechsels hat Günther nicht. Die tägliche „Gastarbeit“ im Westen und die Fehlzeit im Osten empfindet er als „persönlich organisierte Wiedergutmachung für 40 Jahre Lug und Betrug“. Jahrelang hat er gearbeitet und „nicht mal montags blaugemacht“. Geleistet hat er sich für die Maloche einen Teppich mit Orientmuster. Noch Mitte November spielte er mit den Gedanken „rüberzumachen“, das würde er sich jetzt erst nach einer Währungsreform, die die Schwarzarbeit uninteressant machen würde, überlegen. Auf „Containerwohnen“ hat er „keinen Bock“, die Zwei-Zimmer-Wohnung in Marzahn, „Komfortstandard“ für 61 Mark im Monat, ist „echt extra“. Wohnen im Osten, arbeiten im Westen, ist sein Traum.
Gegen die vielen Ausländer hier und speziell gegen seine polnischen Kameraden hat er nichts, „die Jungs sind in Ordnung“. Unverständlich findet er aber, daß über ein Bleiberecht diskutiert wird. Im VEB Tiefbaukombinat arbeiten viele Polen - keiner darf aber länger als vier Jahre da bleiben, „dann werden sie ausgetauscht, und die nächsten kommen. Was die Republikaner hier wollen, das haben wir schon lange.“ In Ordnung findet er auch nicht, daß Ede, sein Meister, doppelt soviel für das Organisieren einstreicht wie er für die tägliche „Neun-Stunden-Knochenarbeit“. Einen „Ranschaffebonus“ will er ihm schon zugestehen, aber den Stundenlohn von rund 6 Mark findet er „unter dem Schnitt“. Günther bucht den niedrigen Schwarzarbeiterlohn noch als Anfangsinvestition ab.
Noch vor Weihnachten, so hofft er, hat er über die privaten Kleinanzeigen soviele Kontakte in den Westen, daß er sich ab Ostern „oder so“ selbständig machen kann. Einschlägige Adressen werden in der DDR, das weiß er, inzwischen kommerziell gehandelt. Als Berliner hat er da einen Standortvorteil. Kündigen will er sein sicheres, rentenfähiges Arbeitsverhältnis im Tiefbaukombinat aber nicht, „da wäre ich ja blöd... und meine Wohnung los“.
Anita Kugler
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