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„Die wollen Gummibärchen“

■ Kita-Streikauftakt in Kreuzberg / Kids, streikende ErzieherInnen und aufgebrachte Eltern besuchten eine völlig hilflose Jugendsenatorin / Anne Klein: „Ich ärgere mich auch über die Frauen in der SPD“ / Was ist mit Walter Momper?

Die dreijährige Jana kann noch nicht lesen. Deshalb weiß sie auch nicht, was auf dem Pappschild steht, das um ihren Hals baumelt. „Der Haushalt ist falsch bemessen, uns Kinder habt ihr vergessen“, behauptet ein Text keck vor ihrer Brust. Im Kinder-Eltern-Getümmel im zweiten Stock der Senatsverwaltung Frauen, Jugend und Familie weiß wenigstens der vierjährige Ingwer mit seinem Styropor-Schild etwas anzufangen. Er kaut andächtig mit seinen Milchzähnen auf dem weichen Material herum - und seine Spucke läuft respektlos über die blauen Buchstaben, die sich „gegen Aufbewahrungsanstalten“ richten.

Es ist der erste Tag im Kindertagesstätten-Streik. In Kreuzberg blieben gestern 36 KiTas geschlossen - die restlichen drei hatten auf. Im Dunkeln stehen Streikposten vor jeder Tagesstätte, fast nur Frauen; Eltern und Kids kommen erst gar nicht. Sie wußten Bescheid, haben ihre Kinder bei Freunden und Verwandten untergebracht, oder sich für ihren Nachwuchs beurlauben oder krankschreiben lassen.

In der Senatsverwaltung von Anne Klein ist es schön warm. Erzürnte Eltern haben hierhin ihre zwei Dutzend Kinder mitgebracht, und die Knirpse machen mit ihren Kochtöpfen, Rasseln und Flöten endlich einmal Stimmung. Verschlafene Beamte freuen sich über den aufgeweckten Besuch, eine Mitarbeiterin der Pressestelle vermutet wohlwollend: „Die wollen Gummibärchen.“ Die Eltern aber wollen Anne Klein.

Die Jugendsenatorin soll für die Erziehungsberechtigten „zu Herrn Momper gehen“, fordert Vater Gerhard Hess, auf dem linken Arm seine zweijährige Helle, auf dem rechten ein grünes Akkordeon. Vor Berlins Erstem soll Klein „unsere Forderungen vertreten“. - „Da war ich längst“, nimmt die Senatorin dem Vater den Wind aus den Segeln. „Der gute Wille reicht in der Politik aber nicht, man muß auch durchsetzen, was man will. Fragt sich nur wie?“ rät darauf Eckhard Schreiber, seine Zwillinge Till und Lara (22 Monate) gaffen von seinem Arm gelangweilt in die Runde. „Ja, wie?“ hakt die Politfrau Klein bei der Basis nach. Da hat dann Sabine Altewischer mit Sohn Charlie (15 Monate) eine Idee: „Auf jeden Fall werden Sie die Protesteingabe weiterleiten“. Die AL-nahe Senatorin belächelt den Vorschlag: „Wir haben schon ein paar Waschkörbe voll.“

„Die Eltern sind bei mir natürlich völlig richtig, nur insofern falsch, als daß ich auf ihrer Seite bin“, erklärt die Senatsfrau der taz. Ja, wo sollen sie bloß hin - zu denen, die sowieso gegen sie sind? „Ich kann nicht sagen, ob sie bei Pätzold oder Meißner auf offene Ohren stoßen“, so die Chefin der Senatsverwaltung. Die Eltern scheinen dies aber zu wissen und gehen von der Senatorin aus lieber direkt nach Hause.

Auf den Innen- und Finanzsenator ist die Familiensenatorin im übrigen sauer: „Die haben heute morgen einfach bei mir angerufen. 'Wir geben keine Interviews‘, haben sie bündig mitgeteilt.“ Kopfschüttelnd stellt sie fest: „Dabei sind das doch deren Wähler, die auf die Barrikaden gehen.“ Und: „Ich ärger mich auch über die Frauen in der SPD. Wo sind die denn jetzt?“ Vielleicht sollten die empörten Eltern zu Hause nicht abgelutschte Kinderdäumchen drehen, sondern jene verschwundenen Geschöpfe suchen? Die Frauen könnten Stimmung in die Sozi-Partei bringen.

Dirk Wildt

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