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Nur Luftblasen über dem Kleistpark

■ Außer Medienrummel nichts gewesen: „Eins Zwei Drei„-Feeling am Kleistpark - doch die „Weltgeschichte“ fand nicht statt / Berliner zuckten nur mit den Achseln

Als erstes kamen die Russen: Kurz nach 11 Uhr gestern vormittag fuhr in einem dunkelblauen Volvo der sowjetische Botschafter Wjatscheslaw Kotschemassow vor dem Gebäude des Alliierten Kontrollrats im Schöneberger Kleistpark vor. Ihm folgten kurze Zeit später seine westlichen Kollegen Vernon Walters (USA), Sir Christopher Mallaby (Großbritannien) und Serge Boidevaix (Frankreich). Zum ersten Mal seit 18 Jahren

-damals wurde das Viermächteabkommen über Berlin unterzeichnet - war wieder etwas Leben in das 550-Räume-Haus gekommen. Die Botschafter der Alliierten trafen sich dort, um unter dem Vorsitz von Walters die sogenannte Berlin -Initiative des ehemaligen US-Präsidenten Reagan aus dem Jahr 1987 zu erörtern. Bereits vorgestern abend war das überraschende Treffen Spitzenmeldung in allen Berliner Nachrichtensendungen und wurde sofort als wahrhaft historisches Ereignis gefeiert. Entsprechend groß war auch das Aufgebot von Journalisten, Fotografen und Kamerateams, die trotz der Kälte vor dem Eingang des Gebäudes auf vermeintliche Weltnachrichten warteten.

Während unter den frierenden Journalisten die Gerüchteküche kochte und kochte - gar deutschlandpolitische Beschlüsse erwartet wurden -, ging in der Umgebung des Kleistparks das Leben aber ganz unhistorisch und normal weiter. Die hinter dem Kontrollratsgebäude liegende Elßholzstraße war ruhig wie immer, die Eingänge zum Park von dieser Seite abgesperrt was aber angesichts des naßkalten Wetters kaum jemand bemerkte. Zugang zum Park von der Potsdamer Straße aus hatten nur Journalisten, das Gelände wurde von der Polizei abgesperrt. Vor den Toren des Parks drängelten sich aber keineswegs Menschenmengen. Im Gegenteil: Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und Schneeregen eilten die Passanten vorbei. Kaum jemand auf der Straße wußte, was hinter den Gittern vor sich ging. „Alliierter Kontrollrat - kenne ich nicht, fragen Sie doch mal im Rathaus Schöneberg“, antwortet ein älterer Mann. „Ja, heute tagen die Botschafter der Alliierten hier“, weiß eine junge Frau, die ich etwa als zwanzigste befrage. „Aber die haben hier doch kaum noch was zu sagen“, urteilt sie über die Gewichtigkeit des Ereignisses. „Nee, wir sind nur zum Einkaufen hier“, so eine junge Familie, „von drüben“, setzt sie noch erklärend dazu. Auch die Schüler des unmittelbar am Kleistpark liegenden Sophie-Scholl-Gymnasiums stehen cool wie immer vor der Schule. „Ja, hat unser Lehrer auch schon gesagt, daß die hier sind.“

Währenddessen stürzen die Journalisten im Park bei jedem Schatten, der sich hinter der Glasscheibe der Eingangstür abzeichnet, einen Schritt nach vorne. Nach zweieinhalbstündigem Warten ist es endlich soweit: Als erster verläßt wieder der Russe das Haus - steigt in seinen Wagen und fährt ab. Kurz nacheinander folgen ihm seine westlichen Kollegen, die ebenfalls kein Wort über Inhalt und Verlauf des Gesprächs verlauten lassen. Auf den Aufschrei der Journaille hin wird ein 20zeiliges Kommunique verteilt, aus dem hervorgeht, daß der russische Botschafter gegenüber der Berlin-Initiative „positives Interesse“ zeige und „weitere Treffen auf entsprechenden Ebenen stattfinden könnten“. Betont wurde die Bedeutung der Stabilität Berlins, zu der die Schutzmächte weiterhin beitragen wollten. Die Initiative Reagans sah vor, Berlin zu einem Luftknotenpunkt auszubauen und internationale Sportwettkämpfe in beiden Teilen der Stadt auszutragen. Konkretere Ergebnisse wurden im Anschluß an das historische Treffen nicht bekanntgegeben. (Siehe auch Bericht auf Seite1)

Kordula Doerfler

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