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Auch im DDR-Sport kippen jetzt die Köpfe

■ Die sechs obersten Sportfunktionäre sollen morgen ihren Rücktritt erklären, der Fußball-Boß wird wohl folgen

Berlin (dpa/taz) - Was auch immer sich im Sport der DDR an Veränderungen realisiert oder abgezeichnet hat in den vergangenen Monaten, personelle Konsequenzen wurden bisher nicht gezogen. Erst am 30. November wurde Klaus Eichler als Präsident des DTSB einstimmig wiedergewählt. Nun sollen er und seine fünf Vizes morgen ihren Rücktritt erklären. Auf der außerordentlichen Sitzung des Verbandes soll ein provisorisches Führungsgremium bestimmt werden, bis bei einem vorgezogenen Turn- und Sporttag wieder richtig gewählt werden könnte.

Neben Eichler, einem alten Krenz-Intimus, ist auch der Präsident des DDR-Fußball-Verbandes (DFV), Wolfgang Spitzner, verstärkt in die Kritik geraten. Beide gehören zu jener Riege von Sportfunktionären, die schon zu Zeiten Erich Honeckers an der Macht waren.

Der Ostberliner DTSB-Bezirksvorstand hatte am Samstag den Rücktritt des gesamten DTSB-Präsidiums und des erst vor kurzem wiedergewählten Eichlers gefordert. Hintergrund ist dabei die Auseinandersetzung zwischen Eichler und seinem Vorgänger, dem amtierenden NOK-Präsidenten Manfred Ewald, die viel Staub aufgewirbelt hat. Eichler hatte Ewald beschuldigt, als DTSB-Chef in undurchsichtige Devisengeschäfte verstrickt zu sein.

Der NOK-Präsident hat in einer Erklärung den schwarzen Peter an Eichler zurückgegeben. Aus dem Papier wird unter anderem deutlich, daß Eichler von den Machenschaften im DTSB doch mehr gewußt haben muß, als er heute zugeben will. So hatte der Funktionär behauptet, er sei von seinem Vorgänger über das in die Kritik geratene Prämiensystem für Leistungssportler nicht unterrichtet worden. Ewald erklärt dazu: „Er nahm die betreffenden Unterlagen entgegen und äußerte keinerlei Vorbehalte.“

Über seine unrühmliche Vergangenheit droht auch der DFV -Chef Wolfgang Spitzner zu stolpern. Der Trainer des DDR -Oberligisten FC Jena, Bernd Stange, übte heftige Kritik an dem Fußball-Boß. Nach seinem Ausscheiden als DDR -Auswahltrainer habe er von der DFV-Spitze ein Zeugnis erhalten, in dem ihm bescheinigt werde, daß es ihm nicht gelungen sei, „westliche Gedanken“ aus den Köpfen der Spieler zu bekommen, sagte Stange. Außerdem habe Spitzner ihm Konsequenzen angedroht, als Stanges Frau drei Tage vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei zu einem Verwandten-Besuch in den Westen reisen wollte.

Der ehemalige DDR-Auswahltrainer orientiert sich jetzt gen Westen, ihm liegt bereits ein Angebot aus Österreich vor. Neben den Fußballern werden auch die Rad-Stars aus der DDR den Weg zum Profitum einschlagen. Nachdem der niederländische Profi-Rennstall von Ex-Weltmeister Jan Raas dem dreimaligen Friedensfahrtsieger Uwe Ampler ein konkretes Angebot gemacht hat, sitzt der 26jährige praktisch auf gepackten Koffern. Der Verband wird Ampler keine Steine in den Weg legen.

Dabei lockt die zahlreichen Weltklasse-SportlerInnen in der DDR nicht nur das große Geld. Zunehmend müssen die Stars erfahren, daß sie im eigenen Land wegen ihrer Privilegien schief angesehen werden. Zum Auftakt der 38. Winterbahnrennen in der Ostberliner Werner-Seelenbinder -Halle drohten die Fahrer deshalb sogar mit einem Streik. Anlaß war ein Artikel des NOK-Pressesprechers und Sportchefs der FDJ-Zeitung 'Junge Welt‘, Volker Kluge, in dem der Autor Verständnis für die teilweise herbe Kritik an den SportlerInnen äußerte. Als diese eine Erklärung verlesen durften, verzichteten sie jedoch „im Interesse der Zuschauer“ auf den Streik.

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