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„Den magischen Punkt nicht gefunden“

Antje Vollmers Rede zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille / Ein verbitterter Abschied vom Dialogversuch mit der RAF  ■ D O K U M E N T A T I O N

Als ich den Aufruf bekam, daß ich für meine Arbeit eine Medaille bekommen solle, die den großen Namen von Carl von Ossietzky trägt, habe ich gedacht: Das ist doch zu früh! Und ich habe gedacht: Ist meine Sache denn schon so verloren, daß sie mit einem Preis ausgezeichnet wird? Nach einem Moment des Nachdenkens fiel mir ein: Vielleicht ist der Anlaß dieser Verleihung eine gute Gelegenheit, gerade zur richtigen Zeit ein Forum zu finden, um Klartext zu reden. Seit Monaten begreife ich nicht mehr die Handlungsfähigkeit unserer Justizminister, die kostbare Zeit vertan haben, in der sie politisch hätten handeln können. Und nun, wenige Tage nach dem Mord an Alfred Herrhausen weiß ich: Es ist schon zu spät.

In meinen Händen drehe ich einen Bekennerbrief der RAF, der geschrieben ist wie eine professionelle Presseerklärung auf einer Textmaschine, mit mörderischen und sinnlosen Sprachversatzstücken. Die hören nicht auf, lese ich da, die haben auch nichts zu erklären, die machen nur „einen neuen Abschnitt“. Immer machen die „einen neuen Abschnitt“ in ihrer mörderischen, elitären Großmannssucht. Und dann bieten sie auch einen neuen Abschnitt der Auseinandersetzung an. Aber auf Leichen stehend dialogisiert sich nicht gut.

Die gepanzerten Autos fahren weiter. Die Politiker reden weiter und handeln wenig, die Terroristen morden weiter. Und ich, ich höre jetzt erst einmal auf. In dem Dialogkonzept, das viele Menschen und ich seit drei Jahren versucht haben, sollten Standpunkte aufeinanderprallen, und nicht Betonköpfe und Bomben. Es sollte ein Ausweg gesucht werden, und nicht die ständige Wiederkehr des Uralten.

Ich mache einen neuen Versuch, mir etwas zu erklären. Es muß ja einen roten Faden geben zwischen meinen unterschiedlichen politischen Inititativen, die Sie mit diesem Preis auszeichnen. Erst Ihre Auszeichnung hat mich auf diesen roten Faden gebracht. Tatsächlich besteht da ein Zusammenhang zwischen meinen Initiativen für die vergessenen NS-Opfer, für die Überwindung der buchhalterischen, bürokratischen Aufteilung zwischen den verschiedenen Opfergruppen und der Dialoginitiative für Terroristen. Ich war immer der unausgesprochenen Überzeugung, daß eine politische Elite, die nicht in der Lage ist, sich selbst den Schuldlasten ihrer eigenen Vergangenheit zu stellen, daß die auch nicht in der Lage ist, barmherzig gegenüber den Fehlern und Morden ihrer Kinder zu sein. Und ich war dieser irrwitzigen Meinung, daß die Potenz der Versöhnung, die es gerade in unserem Land zu suchen gibt, mit beidem zu tun hätte, mit den bleiernen, todbringenden Jahren des Faschismus und mit den bleiernen, todbringenden Jahren des Deutschen Herbstes. Aber mit diesem Versuch, den magischen Punkt zu finden, an dem es nicht mehr zu spät und noch nicht zu früh ist, bin ich in beiden Bereichen gescheitert. Wir Deutschen haben uns in unserer Geschichte selbst zu viel vergeben, als daß da noch eine wirkliche Kraft zur Versöhnung mit den Unversöhnten übriggeblieben wäre.

Jetzt lese ich den Satz von Carl von Ossietzky, der auch in Kontroversen anderer Art diesen magischen Punkt gesucht hat: „Irgendwo steht immer noch ein runder Tisch und wartet...“ Ich höre den Satz und finde weder den Tisch noch den Zeitpunkt.

Trotzdem glaube ich immer noch: Ich war dicht dran an der einzig möglichen Methode einer Lösung. Es ist die Methode der weitestmöglichen Annäherung an die Täter und Akteure des Schreckens. Es war der Versuch, in ihre Köpfe hineinzukriechen, um dort am Anfang der Schrecken den Schlüssel für den friedensstiftenden Ausweg zu finden.

Carl von Ossietzky hat das mal sinngemäß so ausgedrückt, daß er für seine Tätigkeit nicht hohl ins Land hinein tönen könne, sondern daß er möglichst dicht dranbleiben müsse an der schrecklichen Wirklichkeit, um die Sprache dafür zu finden. Darum ist er weder ins äußere noch ins innere Exil gegangen. Ob das Mut war, weiß ich nicht einmal. Es sind immer die eigentlich ängstlichen Menschen, die nichts so sehr fürchten wie die Würdelosigkeit und das Risiko, den Platz zu verlassen, wo sich ihnen eine Aufgabe gestellt hat. Da versuche ich auch stehenzubleiben. Aber die Wahrheit ist: Ich weiß jetzt auch nicht mehr, wie es weitergehen soll. Vor ganz kurzer Zeit wußte ich es noch. Und wie damals bin ich auch heute noch der Überzeugung: Die Lösung für ein mögliches Ende des Terrorismus hat zum Greifen nahe gelegen. Sie konnte nur in den Gefängnissen gesucht werden, an keinem anderen Ort. Aber sie setzte die Bereitschaft aller Justizminister voraus, diesen Weg, der einen Ausweg niemals garantiert, aber doch versuchsweise eröffnet hätte, auch mit dem darin enthaltenen Risiko zu gehen. Aber als wir im Oktober dieses Jahres den letzten Brief schrieben, um die Justizminister noch einmal dazu aufzufordern, war es schon zu spät.

Ich finde es gut, daß Sie diesen Preis in diesem Aufbruch -Jahr '89 geteilt haben. Die andere Hälfte ist für Friedrich Schorlemmer, stellvertretend für alle, die in der DDR einen Aufbruch-Versuch - nun vielleicht doch zum richtigen Zeitpunkt - versuchen, nicht zu früh und hoffentlich noch nicht zu spät. Ich habe große Angst um die Entwicklung in der DDR. Ich weiß nicht, ob die Kraft ausreicht für das große Neue, das an diesem runden Tisch in der DDR auszuhandeln ist. Ich finde, daß die bundesdeutsche Politik mit ihrem Zehn-Punkte-Plan von einer bodenlosen Verantwortungslosigkeit geprägt ist. Sie läßt den Menschen in der DDR keine Zeit, die sie doch so dringend brauchen. Gegenüber diesem atemberaubenden Anspruch, in freier Selbstbestimmung die eigene Zukunft zu entwickeln, setzt sie das Angebot: Erspart euch doch diese wahnsinnige Mühe, schließt euch doch gleich uns an. Die Machiavellisten nähren sich immer vom Kostbarsten, von den Hoffnungen von Menschen.

Alle diese wunderlichen Hoffnungen auf den eigenen Weg in der DDR werden in einer Leichtfertigkeit ohnegleichen verfeuert in unsere bundesrepublikanische Wahlkampfmaschine, die hohl ins Land der DDR hineintönt.

Ich habe eine sehr schöne Geschichte von Franz Kafka gefunden, die heißt „Aufbruch“. Die möchte ich Friedrich Schorlemmer und allen widmen, die in der DDR immer noch wagen aufzubrechen.

„Ich befahl, mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeute. Er wußte nichts und hatte nichts gehört. Beim Tore hielt er mich auf und fragte: 'Wohin reitest Du, Herr?‘ 'Ich weiß es nicht‘, sagte ich, 'nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.‘ 'Du kennst also Dein Ziel?‘ fragte er. 'Ja‘, antwortete ich, 'ich sagte es doch: Weg von hier, das ist mein Ziel.‘ 'Du hast keinen Eßvorrat mit‘, sagte er. 'Ich brauche keinen‘, sagte ich, 'die Reise ist so lang, daß ich verhungern muß, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Eßvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.'“

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