piwik no script img

Drei Personen suchen eine Krise

■ Ein Symposium über „das bürgerliche Theater“ in Mannheim

Was ist dran an der allgemein beschworenen Krise des deutschen Theaters? Geht im Theater ein Phantom um, ähnlich dem, das der Kanzler in der Politik schon lange wittert: Alles läuft bestens, nur die Böswilligen tun so, als ob nichts mehr ginge? Wenn man dem glauben darf, was Peter Iden ('Frankfurter Rundschau‘) und Peter von Becker ('Theater heute‘) in Mannheim während des Symposions Geschichte, Gegenwart und Zukunft des bürgerlichen Theaters (anläßlich des 150.Jahrestages der Kommunalisierung des Mannheimer Theaters) referierten, dann ist sie ein Phantom.

Laut Peter von Becker gibt es die Krise des Theaters schon so lange wie das Theater selbst. Heute werde eben wieder einmal etwas mehr über die Krise geredet, so daß eigentlich von einer Krise der Selbstwahrnehmung gesprochen werden müsse. Stimmt es also, daß man die heutige Krisendiskussion auch als Zeichen von Langeweile deuten kann, als ein Produkt der allzu fetten zwanzig Theaterjahre, die hinter uns liegen? Geld ist inzwischen genug da, keine Kommune denkt ernsthaft daran, die Etats zu beschneiden. Alles läuft bestens.

Wenn guter Rat teuer ist, hilft immer ein Blick in die Bilanz. Den wagte Peter Iden und nahm sich die Saison 87/88 vor. Und siehe da, auch die Zahlen bestätigen es: Von Krise kann keine Rede sein. Das mag stimmen, solange man sich auf der Ebene der Zahlen bewegt und solange man das deutsche Theater im gegenwärtigen internationalen Querschnitt vergleicht. Denn dann schneidet es als Weltmeister ab. Länder wie Italien oder die USA wären froh, könnten sie in einer Saison die Fülle qualitativ hochstehender Premieren vorweisen, die bei uns zuweilen an einem Wochenende geboten werden. Bleibt nur die Frage, ob eine auf Hochtouren und gut geschmiert laufende Maschine zwangsläufig ein gesundes Innenleben hat. Wenn dem nicht so ist, braucht man gewiß nicht sofort von einer Krise zu sprechen, möglicherweise aber zeigen viele Maschinenteile Ermüdungserscheinungen.

Nicolas Brieger, der Mannheimer Schauspieldirektor konkretisierte diesen Verdacht: In den deutschen Schauspielhäusern habe sich eine Planerfüllungsmentalität breitgemacht. Eine Befindlichkeit, die in der DDR schleunigst ad acta gelegt werden muß, soll also der Sand im Getriebe des westdeutschen Theaters sein. Eine verkehrte Welt , die auch auf dem Podium auszumachen war - denn der Theatermacher Brieger kritisierte und artikulierte freimütig seine Unzufriedenheit, während der Kritiker Iden zu beschwichtigen suchte. Der Mannheimer Schauspieldirektor war auch derjenige, der auf die tiefer liegenden Gründe des Unbehagens im derzeitigen Theaterbetrieb hinwies: Man hat sich komfortabel eingerichtet und läßt es sich gutgehen, spürt aber doch, daß es so nicht weitergehen kann. Denn das komfortable Leben - auch im Theater - ist nur auf Kosten der unterentwickelten Länder möglich. Nicolas Brieger distanzierte sich mit dieser Beschreibung wohltuend von jener Mentalität, die Auswüchse wie das Hamburger Zadek -Debakel überhaupt erst ermöglichen.

Das Theater wird in seinem derzeitigen Wohlleben von der Sorge geplagt, daß es die aktuellen Probleme auf der Bühne nicht mehr thematisiert. Aufgebrochen war man in den sechziger Jahren, um gegen die Väter mobil zu machen. Welche Bedeutung das Theater in diesem Aufbruch hatte, sei daran zu sehen, daß Peter Weiss‘ Die Ermittlung in den sechziger Jahren gleichzeitig an mehreren Theatern uraufgeführt wurde, meinte Peter von Becker. Eine Feststellung, die direkt zu der Frage nach den Theaterautoren führt: Gibt es eine Krise der Autoren?

Es gibt derzeit kein Stück, das wie Die Ermittlung ein alle bewegendes Thema für die Bühne aufbereiten würde. Und das hat seine Gründe. Die heutigen Probleme werden durchweg „global“ genannt: ökologische Krise, Nord-Süd-Konflikt, die Bedrohung durch die Rüstung. Sie bühnengemäß darzustellen das heißt mit Menschen, Rollen, Figuren - erfordert sicher auch neue Formen des dramatischen Modells. Und eben an denen scheint es heute zu mangeln - seit Beckett, Jonesco, Weiss.

Thomas Bernhard ist tot. Botho Strauß kneift dort, wo es ernst wird. Heiner Müller wird damit zu kämpfen haben, daß die Veränderungen in der DDR ihm nicht die Schreibkraft rauben. Daneben: Betrachtet man nur die noch junge Theatersaison, gab es alleine im süddeutschen Raum und in der deutschsprachigen Schweiz zahlreiche Ur- und Erstaufführungen. Erwähnenswert sind davon allerdings nur zwei: Bettina Fless‘ Memmingen in Mannheim und Max Frischs leider nicht inszeniertes Jonas und sein Veteran in Zürich.

Jürgen Berger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen