: Ökologischer Stadtabbau für Wohnplätze?
■ Die Wissenschaftsverwaltung will auf dem Forschungsgelände des Instituts für Ökologie ein Studentenwohnheim errichten / Die Grundlagenforschung im Bereich der Vegetationskunde des Instituts ist gefährdet / Mitarbeiter wollen die Bebauung verhindern
Ökologischer Stadtumbau ist eines der politischen Ziele, die die Regierungsparteien ganz groß auf ihre Fahnen geschrieben haben. In der Praxis sieht das aber oft anders aus. Die Wissenschaftsverwaltung betreibt auf ihrer beinahe verzweifelten Suche nach Flächen für studentischen Wohnungsbau im Augenblick eher ökologischen Stadtabbau.
Um den immer stärker nach Berlin drängenden Studenten eine Bleibe zu bieten, will die Wissenschaftsverwaltung in den nächsten Jahren 3.000 Wohnheimplätze schaffen. In der gegenwärtigen Situation stehen in Berlin nur noch wenige Flächen zur Verfügung; Wissenschaftssenatorin Riedmüller hat deswegen ein TU-Grundstück in Zehlendorf, am Kehler Weg/Ecke Löhleinstraße, ins Auge gefaßt. Dort betreibt das Institut für Ökologie, Fachgebiet Botanik, ein Versuchsgelände zur Erforschung der Vegetationsentwicklung von Pflanzen in städtischen Ballungsräumen. Dieses Gelände hat für die Wissenschaftsverwaltung den unschätzbaren Vorteil, daß es sofort bebaut werden kann, wenn die Botaniker von dort verschwinden. Im Flächennutzungsplan ist es von jeher als Baugelände ausgeschrieben. Das ca. 3.000 Quadratmeter große Gebiet war den Okölogen der Technischen Universität vom Land Berlin vor rund zwanzig Jahren „leihweise“ überlassen worden, da zu dieser Zeit keine anderen Nutzungskonzepte existierten. Rund 60 Wohnheimplätze für Studenten sollen jetzt hier gebaut werden.
Mit einem Schreiben vom 27. Oktober hat die Wissenschaftsverwaltung der TU die Nutzung für diese Fläche entzogen. „Ihre Argumentation zur weiteren und unverzichtbaren Nutzung durch das Institut für Ökologie kann uns wegen der ernsten Wohnraumnot nicht überzeugen“, antwortet die Wissenschaftssenatorin Riedmüller auf einen Protestbrief der TU. „Für uns Ökologen bedeutet die Wegnahme dieses Versuchsgeländes soviel, wie wenn man dem Fachbereich Informatik der TU sämtliche Computer wegnehmen würde“, meinen dazu die Mitarbeiter des Instituts. Noch sei nichts endgültig entschieden, versuchte die Pressereferentin der Wissenschaftssenatorin zu beschwichtigen. „Es werden noch Gespräche mit der TU und Institutsleitung geführt.“ Allerdings befürchten die Ökologen, daß diese Gespräche nur dazu dienen, daß sie schneller das Gelände verlassen.
Bei der Auswahl gerade dieses Geländes könnte der optische Eindruck eine Rolle spielen. „Für manche Leute mag das Versuchsgelände verwildert oder ungenutzt aussehen. In der Tat erinnert das Gelände beim ersten Blick an eine Brachfläche“ - das räumen die Mitarbeiter auch ein. Denn dort wird in langfristigen Experimenten untersucht, wie sich Pflanzen frei entwickeln - und das unter den Bedingungen eines Ballungsgebietes. Langfristig wird in den Forschungsprojekten des Instituts angestrebt, den Gang der Evolution nachzuzeichnen. Daß ein solches Versuchsgelände nicht aussieht wie eine Gartenfläche, erscheint fast selbstverständlich. Schließlich wachsen hier auf rund 3.000 Quadratmetern mehr als 400 Pflanzenarten.
Aufbauend auf diesem Gen-Reservoir betreiben die Ökologen hier Grundlagenforschung. Wie verändert sich unsere Pflanzenwelt? Welche neue Arten oder Abarten können sich entwickeln? Wie wirken sich Schadstoffe auf die Pflanzenwelt aus? Dies sind die Fragen, mit denen sich das Institut in Dauerversuchen zum Teil seit mehr als 20 Jahren beschäftigt. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es den Betroffenen unverständlich, daß gerade jetzt dieses Versuchsgelände für studentischen Wohnungsbau herangezogen wird. Bedroht ist nicht nur die Grundlagenforschung des Instituts insgesamt, sondern auch die Dissertationen der Mitarbeiter, die mit den Langzeitversuchen arbeiten und zum Teil Forschungsgelder von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligt bekommen haben. Der erfolgreiche Abschluß dieser Arbeiten ist gefährdet, wenn die Fläche zugebaut wird, da man die Langzeitversuche nicht einfach auf eine Ausweichfläche übertragen kann. „Es wäre eine für die Nachwelt unverständliche Entscheidung, wenn ausgerechnet eine Regierung, die den ökologischen Stadtumbau als eines ihrer vorrangigen Ziele proklamiert hat, der entsprechenden Grundlagenforschung einen so schwerwiegenden Rückschlag versetzt“, bewertet der Fachbereichsrat diese Entscheidung der Wissenschaftsverwaltung.
maer/kd
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen