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Notstand in West-Berlin

Hessen ist mal wieder vorn - an völlig neuer Front. Ende September verkündete der Wiesbadener CDU-Umweltminister Weimar den „Stopp“ hessischer Hausmüllexporte in die DDR. Ganz anders seine Amtskollegin im rot-grünen West-Berlin: „Keine Alternative“ sieht die grüne Umweltsenatorin Schreyer zu den Mülltransporten aus ihrer Stadt ins nahegelegene DDR -Umland. Während Weimar „gerade jetzt in der Zeit des Umbruchs“ der DDR „zusätzliche Belastungen“ ersparen will, schafft Schreyer munter neue. Die Giftmülltransporter aus West-Berlin donnern weiterhin ungehindert über den Grenzübergang Staaken und nach Vorketzin - obwohl die Grundwasserverseuchung unter dieser Deponie mittlerweile DDR -amtlich ist. Erst im nächsten Jahr sollen wenigstens die Tansporte wassergefährdender, flüssiger Giftabfälle aus Westberlin nach Vorketzin eingeschränkt werden. Dann, so hofft Schreyer, steht in der Stadt eine Behandlungsanlage für die ölhaltigen Flüssigkeiten zur Verfügung. Was eine Sanierung der Westmüll-Kippen in der DDR angeht, sieht Schreyers Sprecher Rogalla West-Berlin zwar „moralisch in der Verpflichtung“ zu helfen; doch zuvor will man Untersuchungsergebnisse sehen.

Längst demonstrieren Umweltschützer aus Ost und West gemeinsam gegen die Politik der Senatorin - und hören von der nur die Bitte um „Geduld“. Schreyer verweist auf Altlasten der CDU/FDP-Vorgängerregierung. Die habe keinerlei Vorarbeiten für ein Müllwirtschaftskonzept geleistet; ein internes Gutachten spricht gar von einem „Sonderabfall -Notstand“, der in der Stadt herrsche.

Dem Senat fehlt, folgt man dem Gutachten, nicht nur ein genauer Überblick, wieviel giftiger Industriemüll in Berlin überhaupt anfällt und wo diese Rückstände landen; es fehlt auch an geeigneten Entsorgungsanlagen. Auch das oberste Ziel grüner Müllexperten - die Abfallvermeidung - kommt bisher nicht in Gang. Der wachsenden Hausmüllflut - zur Zeit etwa 1,4 Millionen Tonnen pro Jahr - steht Schreyer immer noch hilflos gegenüber. Wer Konzepte anmahnt, wird schon seit Monaten nur vertröstet. „Die Planungen kommen aus den Kinderschuhen nicht heraus“, kritisiert die „Müllgruppe BRD/DDR“ (Bloß Rüber Damit - Dreck Dankend Retour). Schreyer setze die „Vertuschungspolitik fort“. Das Gutachten, das die „katastrophale Lage“ auf dem Sondermüllsektor offengelegt und die Deponie Vorketzin als „ungeeignet für Sondermüll qualifiziert hatte, schmorte in der Tat sechs Wochen in der Schreyer-Behörde, bis die taz das Papier publik machte. Selbst die AL-Fraktion im Rathaus Schöneberg ist das Warten allmählich leid. Hartwig Berger, der umweltpolitische Sprecher der AL, forderte seine Senatorin am Montag auf, den Transport wassergefährdender Transporte nach Vorketzin „umgehend zu stoppen“, den „Giftmüll-Notstand“ offen auszurufen und dabei auch die „vorübergehende Schließung von Betrieben“ zu erwägen. Die Antwort aus der Schreyer-Behörde war brüsk: Pressesprecher Rogalla tat Bergers Forderung als „plakativ“ und wenig hilfreich ab.

Die grüne Umweltsenatorin steht unter Druck - von allen Seiten. Ende Mai ließ Schreyer in einer unangekündigten Razzia 436 Betriebe kontrollieren, in denen Sondermüll anfällt. Die Aktion hatte Erfolg: In zwei Dritteln aller Betriebe wurden Verstöße gegen einschlägige Gesetze und Verordnungen festgestellt. SPD-Wirtschaftssenator Mitzscherling jedoch warnte: Das sei „für das wirtschaftspolitische Klima schädlich“.

Hmt

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