HISTORISCHE LEBENSMITTEL

■ 1:1-Verkaufsaktion der Westberliner Verlage „arani“ und „Haude&Spener“ in Ost-Berlin

Rechts und links unter den Arkaden des „Internationalen Buchs“ standen die Schlangen zur Abfilmung bereit. Ein Sat-1 -Team schleuste mich an erbitterten Diskutanten vorbei ins Innere des Büchertempels, wo erst einige wenige mit dem orangenen Einkaufskorb an den Ost-Tischen vorbeiirrten. Im ersten Stock ballte sich eine Traube um die West-Gabentische und in einem angrenzenden Kämmerchen die Journaille plus Verlagsvertreter. 25 Buchtitel, insgesamt 5.800 Bücher im Gesamtwestwert von 130.000 Mark, stehen zum Verkauf 1:1 bereit. Die Verleger Horst Meyer von „arani“ und Volker Spieß von „Haude&Spener“ und der Verkaufsleiter Gerald Nußbaum vom „Internationalen Buch“ verstehen ihre gemeinsame Aktion als Pilotprojekt, das zur Normalisierung im Buchgeschäft beitragen und die Devisenvereinbarungen im Kulturbereich forcieren soll. Denn, so Horst Meyer, „Bücher sind auch Lebensmittel“, deshalb wolle man „den schrittweisen Anschluß des DDR-Buchhandels an den der Bundesrepublik“ befördern, was aber keine Eroberung des Buchmarktes bedeute. Letztendlich müsse der Leser entscheiden.

Schattenkultursenator Hassemer, MdA CDU, wird als „engagierter Fürsprecher“ der Aktion in der Runde begrüßt (Meyer: „Im Senat hat man Wohlwollen gezeigt, ist aber der Einladung aus mir unbekannten Gründen nicht gefolgt“). „Ich habe weder ein Buch geschrieben noch eins rübertransportiert, ich könnte auch ein Fleischermeister sein, ich habe nur ein paar Leute, die ich kenne, um Unterstützung gebeten“, untertreibt er wieder mal mit Vorsatz. Die paar Leute sind die Sponsoren Krone, Schering und die Sparkasse. Schering darf deshalb draußen historische Ansichten des Betriebs als Poster verschenken. In Zukunft hängen sie auch gerahmt im „Internationalen Buch“. Eine zeigt einen Hitlerscheitel im weißen Anzug, 1935. „Haben Sie damit keine Probleme?“ fragt ein Herr von der 'Westfälischen Rundschau‘ den Chef des „Internationalen Buchs“, was lapidar verneint wird.

Die Ostpresse, vollständig am Tisch unter Wandschmuck und Bronzeteller vereint, stellt Fragen. („Sie können sich gar nicht vorstellen, wie interessant Ihre Fragen für uns sind“, Hassemer). Wie soll es weitergehen, werden Bücher ausgetauscht? (Berliner Rundfunk), Wer kriegt den Verkaufsgewinn?('Junge Welt‘), Wie sollen wir die Bücher in unseren Medien vorstellen?('Neue Zeit‘), Gibt es tatsächlich Anhaltspunkte für erhöhten Bedarf an Westliteratur, und was wird gekauft? (Dt64). Die Zusammenarbeit bedarf gesellschaftlicher Regelungen, Austausch ist natürlich möglich, aber erst dann, wenn DDR -Bücher für Westleser interessant sind, der Erlös wird humanitären Zwecken zugeführt, die noch nicht bestimmt sind, natürlich werden Sie mit Rezensionsexemplaren beliefert, gekauft werden Orwells 1984 und Farm der Tiere, nicht-publizierte DDR-Autoren und Pornos („Das müssen Sie ja nicht schreiben“).

Draußen wird derweil in aller Stille abgeräumt. Ein älterer Herr schleppt schwer am orangenen Einkaufskorb. „Das ist auch für meine Kollegen.“ Mit Berlin-Büchern ist man hierzulande unterernährt: „Zur 750-Jahr-Feier gab's mal 'n bißchen mehr, aber dann war's wieder aus.“ Am besten gehen Das Berliner Schimpfwörterbuch und die beiden Bände Das Schloß an der Spree und Sanssouci (jeweils 36 Mark), verrät eine Verkäuferin. Die Nazi-Poster werden auch mitgenommen. „Ich interessier‘ mich für alles Historische“, sagt ein alter Herr und packt alle vier Sponsorenposter ein.

DoRoh