: Stammtischtöne im Mediziner-Hörsaal
■ Schwulenfeindliche Äußerungen in Aids-Vorlesung eines Dermatologie-Profs am RVK: „Schwul, pervers und arbeitsscheu“
Dermatologie-Vorlesung am Mittwoch im Uni-Klinikum Rudolf -Virchow (RVK). Mit erregter Stimme tritt Professor Friedrich G.Nürnberger vor seine StudentInnen. „Den von Ihnen geworfenen Fehdehandschuh nehme ich nicht an.“ Hinter dem Pult des Profs hängt ein Transparent an der Tafel: „Die Nürnbergersche Aids-Trias: schwul, pervers und arbeitsscheu“.
Was war passiert? Nach einer Vorlesung des Professors zum Thema Aids am 29. November hatten MedizinstudentInnen des 9. und 10. Semesters sich in einem offenen Brief an die SenatorInnen für Gesundheit und Wissenschaft und das Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen gewandt. Post erhielten auch Ärztekammerpräsident Ellis Huber und die Berliner Aids-Hilfe. Außerdem wurden Flugblätter verteilt, die auf die Nazi-Vorgeschichte der Stigmatisierung und Verfolgung von Homosexuellen hinwiesen.
Die StudentInnen protestierten damit gegen eine schwulenfeindliche Äußerung Nürnbergers. Der hatte in der Dermatologie-Vorlesung das Dia eines tätowierten Aids -Patienten gezeigt und die Tätowierung als Hinweis auf Drogenabhängigkeit und HIV-Risiko bewertet. Als im Auditorium Widerspruch laut wurde, hatte auch Nürnberger seine Stimme erhoben: „Schwul, pervers und arbeitsscheu, da haben Sie die Trias, daran können Sie die erkennen.“
Die Studenten empörten sich über dieses „wissenschaftlich zum Ausdruck gebrachte Vorurteil“. In dieser Weise Diskriminierung „hoffähig“ zu machen, lasse sich nicht mit der verantwortungsvollen Arbeit eines Mediziners und Lehrbeauftragten vereinbaren. Nürnberger solle sich in der nächsten Vorlesung entschuldigen und ähnliche Äußerungen in Zukunft unterlassen.
Am Mittwoch nun, von einem Aids-Symposion in San Francisco zurückgekehrt, versucht Nürnberger, sichtlich aufgeregt, abzuwiegeln. Die Sache müsse in Ruhe besprochen werden, deshalb werde er jetzt ein Schreiben verlesen, das er an die Adressaten des offenen Briefs der StudentInnen schicken werde. Juristisch einwandfrei formulierend erklärt der Prof die Umstände. „Schwul, pervers und arbeitsscheu“ sei keineswegs seine eigene Meinung gewesen, sondern das Zitat eines Schwulenspruchs der 70er Jahre. Mit diesem Spruch hänge auch eine Tätowierung zusammen, die er selbst „mehrmals bei schwulen Patienten bemerkt“ habe: drei Punkte zwischen dem linken Daumen und Zeigefinger. Diese „besondere Berliner Definition“ des „schwulen Fachjargons“ hätten ihm Homos und Nichthomos „bestätigt“. Er habe auf ein mögliches Risiko für den Arzt hinweisen, aber nicht diskriminieren wollen. Mithin sei das Ganze ein „akustisches Mißverständnis“.
Das jedoch lassen die StudentInnen Nürnberger nicht durchgehen. Es sei ein Unterschied, ob sich Homosexuelle selbst sarkastisch-selbstbewußt mit schwul/pervers/arbeitsscheu bezeichneten oder andere so über sie sprächen. Der Professor habe nicht klargemacht, was er mit dem Spruch meine. „Ihre Äußerungen kommen hier nicht sensibel genug an.“ Das angebliche Erkennungsmerkmal sei nicht geeignet, irgendwelche Diagnosen zu beschleunigen oder das Infektionsrisiko für den Arzt zu senken. Eine Studentin: „Es darf nicht sein, daß Sie auf diese Weise eine Risikogruppe herausstellen.“ Nürnberger gibt daraufhin den Studenten mit tonloser Stimme „recht“, entschuldigt sich aber nicht für die Entgleisung. Er verspricht lediglich eine Korrektur: „Ich werde die Worte schwul, pervers und arbeitsscheu in Zukunft nicht mehr verwenden. Zu der Tätowierung werde ich lediglich sagen, daß sie daran jemanden erkennen können, der eventuell homosexuell tätig ist.“
Daß die Grobheiten des Professors keineswegs Einzelfälle sind, belegt dann noch eine andere Studentin. Als Nürnberger in einer der ersten Vorlesungen das Dia eines Aids-Patienten zeigte, habe er gesagt: „Wenn der dann noch lebt, können wir ihn ja mal hier vorführen.“
Die Berliner Aids-Hilfe konnte auf Anfrage der taz die angebliche Bedeutung der „Drei Punkte„-Tätowierung nicht bestätigen. Dort hieß es, daß die Punkte nach bisherigen Erfahrungen für „Knast“ und „Zuhälter“ stünden.
Hans-Hermann Kotte
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