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Jürgen Roth-betr.: Keine Experimente" (Die Linke und die DDR), taz vom 6.12.89

betr.: „Keine Experimente“ (Die Linke und die DDR),

taz vom 6.12.89

Feindbilder leben davon, daß bei einem selbst unerwünschte Regungen und Einstellungen nur bei anderen wahrgenommen und dadurch verzerrt werden.

So wird nationale Identität, deren gesunde Entwicklung bisher bei uns nicht stattgefunden hat, zu „deutschnationalen Tönen“, und die Angst vor Überfremdung zur „Ausländerfeindlichkeit“. Wer von „uns Linken“ kann behaupten, ihm/ihr seien Schwierigkeiten mit dem Deutschsein oder das Gefühl der Platzangst angesichts asylsuchender und einwanderungswilliger Mitmenschen fremd?

Unsere Empfindungen und deren Folgen sind zu wichtig, als daß wir die Auseinandersetzung damit den Republikanern überlassen.

Hannes Engelhardt, Freiburg

Jürgen Roths Schimpfkanonade auf das „blöde deutsche Volk“, insbesondere in der DDR, ist schlichtweg zum Kotzen. Es ist schon reichlich dreist, wenn er schreibt: „Ruhe, Ordnung, Sauberkeit, die urdeutschen Tugenden, werden in der DDR eine Blütezeit erleben.“

Kein Wunder, daß das souveräne Volk in der DDR sich tatsächlich nicht seinen Weg vorschreiben läßt oder noch einmal 40 Jahre als „neu-sozialistisches Versuchskaninchen“ herhalten will. So ist das halt mit dem Volk, dem Pöbel, welches jetzt den meisten Linken in der BRDDR zu weit geht.

Richard Pestemer, Neunkirchen

Jürgen Roth hat wahrscheinlich recht, daß die DDR -Stalinisten den Begriff „Sozialismus“ so diskreditiert haben, daß sämtliche Warnungen vor den Schattenseiten unserer Gesellschaftsordnung für viele DDR-BürgerInnen wie Hohn klingen müssen.

Schuld an dieser Diskreditierung hat aber auch die hiesige Linke, die nicht imstande war, die Utopie einer sozialistischen Gesellschaft mit (wenigstens ein bißchen) Leben zu füllen. Ein Teil der Linken zog sich an real existierenden, aber offensichtlich unsozialistischen gesellschaftlichen Modellen hoch - dem chinesischen, dem sowjetischen, dem albanischen u.a. Auch eine breite Strömung der Jusos (die Stamokaps) glaubte an den zwar „noch unzulänglichen“, aber doch real existierenden „Sozialismus“ der DDR. Und wieviele Linke haben sich aus Angst vor dem Antikommunismus-Vorwurf das Attribut „stalinistisch“ verkniffen. Fast die gesamte Linke muß sich vorhalten lassen, an der Verharmlosung der Zustände in der DDR und der Diskreditierung des Wortes „Sozialismus“ mitgewirkt zu haben.

Zwischendrin gab's allenfalls ein paar Trotzkisten, die immer unerbittliche Kritiker der Länder des real nie existierenden Sozialismus waren und die gleichzeitig aber auch unsere Verhältnisse bekämpften. Aber das waren ja „Sektierer“, mit denen man nichts zu tun haben wollte. (...)

Die hiesige Linke steht also völlig nackt da. Was will sie, die unter tausendmal besseren Bedingungen als in der DDR ja nicht mal die Utopie vom Sozialismus aufrechterhalten konnte, den DDR-BürgerInnen anbieten? Dementsprechend nebelhaft und anmaßend sind denn auch die Hoffnungen, die man jetzt auf die DDR setzt: Macht ihr doch!

Was einen außerdem pessimistisch stimmt über die Zukunft einer eigenständigen DDR ist die Art und Weise, wie die „Wende“ zustande gekommen ist. Im Grunde genommen hat sich die DDR-Bevölkerung die Wende ja nicht erkämpft, sondern „erflüchtet“. Erst die Massenflucht hat die Erschütterung des SED-Staates bewirkt, in deren Gefolge sich die Leute jetzt mit Massendemonstrationen die Bande vom Hals schaffen. Dies klingt nach Gerede vom sicheren Port, aber der Hinweis muß erlaubt sein, daß es in der DDR nun mal keine Charta 77, kein Helsinki-Komitee und schon gar keine Solidarnosc gab. Dies ist wahrscheinlich nicht nur auf die extreme Repression zurückzuführen, sondern auch auf die altdeutsche Tradition der autoritären Erziehung, die ja in der DDR bis heute ungebrochen ist. Diese Erziehung scheint derart effektiv gewesen zu sein, daß die Bevölkerung ihrer Aggression nicht mal jetzt freien Lauf läßt und zum Beispiel eine Stasi -Zentrale stürmt. Die Leute in der DDR werden sich aber ohne einen solchen Akt nicht von den psychischen Folgen von 40 Jahren Unterdrückung befreien können. Wir in der BRD konnten's ja auch nicht; auf Hitler folgte mit der Ära Adenauer eine neue autoritäre Periode.

Nicht zufällig tauchen denn auch in den Äußerungen der Opposition immer mehr die Ängste vor „unkontrollierten Handlungen“, „Chaos“ und „Anarchie“ auf. Die Befürchtung liegt also nahe, daß sich die Bevölkerung der DDR bald in die Arme des großen Bruders flüchten möchte. Es wird dann keine „Wiedervereinigung“ sein, sondern ein „Anschluß“.

Sigmund, Berlin 41

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