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Untertanen des symmetrischen Prinzips

„Holiday On Ice“: Elysisches Spektakel und Himmel für die Domestiken des Leistunsgssports  ■  Von Manfred Dworschak

Hamburg (taz) - Lauter Licht. Lämpchen ohne Zahl, schwere Scheinwerfer. Und schlingernde Spiegel, computergesteuert, machen Leuchtfinger tanzen, kreiseln huschende Rosetten über die Eisfläche. Wir lassen die Augen weiden. Eine Kompanie Revuebeinchen paradiert mit Bumm und Zack. Und wunderleicht erblüht aus dem Aufmarsch ein Reigen harmloser Drehfiguren: sexualisierte Ornamente der Verführung zu nichts. Flirrende Funken rieseln hernieder, ein warmer Regen. Wir sehen die Show, die Verklärung, die letzte Welt des Sports.

In der Hamburger Sporthalle zeigt sich „Holiday On Ice“, das elysische Spektakel, in neuer Garderobe. Plakate prahlen mit einem leibhaftigen „Theaterregisseur“, Jerome Savary, und gar mit einer „Handlung“, Jules Vernes „Reise um die Erde in 80 Tagen“. Davon hat sich die Kostümschneiderei folkloristisch - anregen lassen, sonst zum Glück niemand. Was funktioniert, soll man lassen. Gerade diese Show: in den gut vierzig Jahren ihrer Wanderschaft hat sie über 250 Millionen Zuschauer zufriedenstellend verarbeitet. Sie ist eine Traummaschine und diszipliniert unsere Sehnsucht. Wonach? Das sehen wir. Und wie? Das sehen wir auch.

Gediente Kämpen des Sports ziehen Kreise und Spiralen ins Eis, Marianne van Bommel etwa und Wayne Deweyert, mehrfache niederländische Meister im Paarlauf, oder Jean-Louis Bondoux, auch er ein gewesener Großer. Wir kennen sie als schuftende Proleten, ermattet von der Serienproduktion fünffach geaxelter Rittberger - und stumpf geworden in den langen Jahren der Kämpfe: jeder gegen jeden, unter der Diktatur des Punktgerichts. Und jetzt, endlich, scheint es, hat sich ein lichtes Tor aufgetan vor ihnen, ein Tor zu einem wahrhaft mythischen Reich der Erlösung. Dort wandeln sie nun, kostbar gekleidet, vom Glanz, der sie umfließt, zu Künstlern geadelt, und haben es gut. Wenn sie uns mal eine Pirouette hintrillern, dann immer ein bißchen wie Herrschaften, die sich zu unangenehmen Reminiszenzen hinreißen lassen.

Ihr Lohn ist uns Versprechen: ein Dasein inmitten des Rekords. Die teuerste Live-Produktion der Welt, 3.750 Kostüme mit eineinhalb Millionen Pailletten, 600 Kilo Straß und Federn zuhauf - so werden die Produzenten des Rekords am Ende zu seinen stillen Teilhabern, man darf sagen: Aktionären. Ihre Dividende ist Licht und Flitter.

Jedem sein Himmel. Dies ist einer für die Domestiken des Leistungssports - und für uns minder Trainierte also erst recht gut genug. Wir kommen auch vor. Mit Prachtkostümen befriedet, als Statistenmassen, die freiwillig nichts durcheinanderbringen. Im Gegenteil: das Tanzvolk scheint glücklich, wie es da, nach Maßgabe der Grundschulgeometrie, auf dem Eis zirkuliert. In vielerlei Maskeraden darf es sich zeigen: mal Indianer spielen und im Kreis hopsen, wie diese bekanntlich tun, mal durcheinandermarschieren in der erprobten Choreographie des Spielmannszuges. Immer aber ist es nur Ornament, eines wandelt sich ins andere wie von selber, und alles ist untertan dem symmetrischen Prinzip. Unfug ist ausgeschlossen.

Diese Show, sieht man, ist eine Maschine für Träume mit kurzer Reichweite. Sie erzeugt daraus einen Pauschalmythos: die Versöhnung von Schweiß und Glamour, von entfremdeter Sport-Arbeit und Kultur. Nach Art der Frau Holle überschüttet sie Strebsame mit den Insignien des Reichtums, unproblematisch, aber zu herrschenden Konditionen, das heißt: gegen Sofortkasse. Der Preis ist vollständige Unterwerfung. Das glauben wir gern.

Nur: manchmal ist uns gar zu öd. Sehr ausgewogen sind die Bilder der Verheißung, rotierende Roben, simuliertes Getue. Die Endzeit ist immer langweilig. Ein Grund mehr, sich zu besaufen am Geglitzer. Licht zu schlemmen und Farbe, ein bißchen zu delirieren in immaterieller Opulenz. Das geht halbwegs, sind wir doch genügsam und gutwillig und klatschen zudem seit dem erstbesten Cancan bei jeder Gelegenheit wacker mit.

Aber die Show ist einfach schlecht gemacht, kunst- und lieblos gehandwerkelt, die Discount-Version einer Revue. Alles was recht ist, das wäre schon demütigend, gäbe es nicht auch noch allerhand Sinnenspielzeug. Wir halten uns daran und beklatschen, während wieder Lichtkegel kreisen, das Treiben des Schnipselschnees und den Selbstfahrerschlitten und die arktischen Eisbären („Oooh, kuckma, der Kleine!“), die niemandem etwas zuleide tun, sondern auch versöhnt sind und uns freundlich zuwinken.

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